778 Nebenius und der deutsche Zollverein.
Schwächen: an einiger Selbstüberschätzung und an großer Zaghaftigkeit des Urtheils. Mein
alter Freund Karl Mathy, der freilich solche vermittelnde Naturen wenig liebte, nannte
den Mann gradezu „weich wie Wachs“, und erbaulich ist es nicht, wie glatt und leise
er über alle die empörende Nichtswürdigkeit der kleinen Höfe, die sich in jenen schmach-
vollen Handelskriegen entlud, hinweggeht und immer nur von den wohlmeinenden Ab-
sichten der Cabinette zu reden weiß. Jedenfalls kann heute, da die archivalischen Quellen
reichlicher fließen, ein co#ros 20# nicht mehr entscheiden.
Wie man in den Kreisen der Mitbegründer des Zollvereins über die Leiter des großen
Werkes dachte, das bezengt ein Aufsatz, den ein freundlicher Zufall unter die Motz'schen
Papiere verschlagen hat. L. Kühne, der nächste Vertraute von Motz und Maassen während
der schweren Jahre 1825—34, begann im Jahre 1841 eine kleine Abhandlung: „wer ist
der Stifter des Zollvereins?", als sich die Berliner Zeitungen grade über die Frage
stritten, ob Motz oder Maassen ein Denkmal verdiene. Die Arbeit blieb unvollendet
liegen, und der Verfasser hat späterhin das Bruchstück mit einem freundschaftlichen Briefe
an die Familie des Ministers Motz gesendet. Kühne hält von vornherein für ausgemacht,
daß neben Motz und Maassen kein Dritter in Betracht komme. Er erinnert an Goethe's
Wort über Schiller, die Deutschen sollten sich freuen zwei solche Kerle zu haben, betont
aber nachher stark, daß kein einzelner Mann das Werk geschaffen: „die Gewalt der
Sachen ist es, die den Verein gegründet hat.“ Nun erzählt er kurz von dem Bundes-
tagsjammer, von List's Agitation, von den süddeutschen Sonderbundsversuchen, von
Preußens zuwartender Haltung und seinen Enclavenverträgen. Dann hebt sich der Ton,
und es wird geschildert, wie mit Motz ein frisches Leben in die Finanzverwaltung kam,
wie an ihm das audaces fortuna juvat sich erfüllte, während Maassen als der Bedenk-
lichere erscheint. Nach einer ausführlicheren Darstellung der Finanzreform und der
preußisch-hessischen Verhandlungen bricht der Aufsatz ab, und man trägt den Eindruck
davon, daß der Verfasser in Motz den kühnen Bahnbrecher des Unternehmens sah. Die
Abhandlung ist nicht frei von Irrthümern; namentlich wird die Thätigkeit des Auswärtigen
Amtes ungerechterweise mit Stillschweigen übergangen, weil die Finanzpartei mit Eichhorn
in beständigem Streite lebte. Aber die im Jahre 1833 neu gedruckte und dem preußischen
Ministerium übersendete Nebenius'sche Denkschrift mußte Kühne kennen. Und doch gedenkt
er ihrer und ihres Verfassers mit keiner Silbe, während er List, Emil Hoffmann und die
anderen Wortführer des Vereins deutscher Kaufleute mit Anerkennung nennt! Der praktische
Staatsmann hielt es offenbar für undenkbar, daß man jemals auf den Einfall kommen
würde, den Verfasser einer Denkschrift, die ein unmögliches Bundeszollwesen empfahl und
ohne jede politische Wirkung blieb, für „den Erfinder des Zollvereins“ auszugeben.
Ich denke, die realistische Anschauung des alten Kühne wird auch in der historischen
Wissenschaft durchdringen, sobald unsere Gelehrten in der Schule eines freien Staats-
lebens lernen, den bedingten Werth der Theorie in der politischen Welt bescheiden anzu-
erkennen. Nochmals, ich wäre froh mich von einem Manne wie Roscher überzeugen zu
lassen. Aber dieser unglückselige Nebenius-Mythus ist und bleibt ein Mythus, und es
wird hohe Zeit, ihn gelassen zu den beiden Eiern des braven Schweppermann und ähn-
lichen Kleinodien particular-historischer Sagenbildung zu legen.
Fürstlich priv. Hofbuchdruckerei (F. Mitzlaff), Rudolstadt.