Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Der Zug nach Antwerpen. 95 
Politiker aufs äußerste empört war. Trotz allen Warnungen, die ihm 
selbst aus Petersburg zukamen, hatte er doch nicht für möglich gehalten, 
daß seine alten Freunde ihn hilflos den Mißhandlungen der Westmächte 
preisgeben würden — und warum? weil er einem Vertrage widersprach, 
der gleich dem Utrechter Frieden ohne, über und gegen Holland abge- 
schlossen war! Lord Palmerston aber weidete sich schadenfroh an der Ver- 
legenheit der Ostmächte. Lustiger denn je pries er dem Parlamente die 
Expediency des Zuges nach Antwerpen und rühmte zugleich die Ehr- 
lichkeit der englischen Politik — was doch selbst vielen seiner britischen 
Hörer wie ein frecher Witz klang. 
Ungestört konnte also das wunderbare Schauspiel eines Krieges ohne 
Friedensbruch über die Bretter gehen. Am 22. November begann Mar- 
schall Gerard mit 60 000 Franzosen die von 5000 Holländern verteidigte 
Antwerpener Zitadelle zu belagern. Jede Mitwirkung der Belgier wies 
er zurück, da seine Regimenter durchaus nur als Exekutionstruppen 
Europas auftreten sollten. Nach vier Wochen tapferen Widerstandes 
ergab sich die Festung, und sofort kehrte das französische Heer in die 
Heimat zurück. Am 22. März 1833 ward dann eine neue Waffenruhe 
vereinbart: die Holländer blieben noch in den Scheldefestungen Lille und 
Liefkenshoek, die Belgier hielten einen Teil des holländischen Luxemburg 
und Limburg besetzt. In diesem seltsamen Zustande verblieben die Nieder- 
lande sechs Jahre lang, bis der Oranier endlich nachgab. Sechs Jahre 
hindurch stand das holländische Heer an der Südgrenze versammelt, 
willig brachte das treue Volk dem Starrsinn seines Königs schwere Opfer, 
derweil die klugen Belgier sich die Verzinsung ihres Anteils an der 
alten Staatsschuld ersparten. 
So endete dies Nachspiel der Juli-Revolution mit einem Triumphe 
des Bürgerkönigtums, der dem französischen Staate allerdings weder 
wahren Kriegsruhm noch eine dauernde Machterweiterung brachte, aber 
so blendend in die Augen stach, daß selbst der nüchterne Guizot mit der 
„glänzenden französischen Lösung der belgischen Frage“ prahlen konnte. 
Die Ostmächte empfanden die erlittene Niederlage sehr lebhaft. Metternich 
wußte nur den einen Trost, daß der Tag der Gerechtigkeit noch nicht 
gekommen sei. Bald nach dem Falle von Antwerpen meinte er weh- 
mütig: „Die praktische, die einzige auf die Lage des Tags anwendbare 
Wahrheit ist die Notwendigkeit, die Entwicklung der Ereignisse abzu- 
warten.“ — 
In Österreichs unmittelbarem Machtgebiete ließ er diese Wahrheit 
freilich nicht gelten; seine italienische Politik blieb fest, herrisch, zugreifend. 
Im Kirchenstaate kam alles, wie er es vorhergesehen: die Unruhen brachen 
sofort wieder aus, als die Osterreicher auf Frankreichs Wunsch abgezogen 
waren. Der Papst konnte und wollte die verheißenen Reformen nicht 
ernstlich durchführen, obwohl ihn Metternich mehrmals mahnte und schon
	        
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