Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Kurfürst Wilhelm in Karlsbad. 127 
das Vertrauen der Reichenbach, er hatte den Kurfürsten zum Eintritt in 
den mitteldeutschen Handelsverein bewogen und konnte nun mit Befrie— 
digung betrachten, wie das unglückliche, zwischen den Zolllinien Bayerns 
und Preußens eingeklammerte Ländchen dem Verderben seiner Volkswirt— 
schaft entgegenging. Und bereits ließ sich voraussehen, daß die zerrütteten 
Familienverhältnisse dieses Fürstenhauses, die schon so viel Elend über 
das hessische Land gebracht, auch unter der künftigen Regierung fortdauern 
würden. Um den Anmaßungen der Reichenbach auszuweichen, lebte der 
Kurprinz mit seiner Mutter jahrelang außer Landes; König Friedrich 
Wilhelm ließ seiner Schwester große Summen vorstrecken, da der Kurfürst 
den beiden die Unterhaltsmittel verweigerte. Als die Kurfürstin unter 
dem Jubel des Volkes endlich heimkehrte, um sich in Fulda einen selb- 
ständigen Hofhalt einzurichten, blieb der Sohn am Rhein zurück. Der 
hatte in Bonn die Frau eines Rittmeisters Lehmann liebgewonnen und 
führte mit ihr ein so anstößiges Leben, daß selbst der galante Lebemann 
Hänlein sich verpflichtet hielt, dem königlichen Oheim in Berlin zu melden: 
ganz Hessen wünscht, „Allerhöchstdieselben möchten zum Wohle des hiesigen 
Landes den nichtswürdigen Lebenswandel des Kurprinzen gewaltsam be- 
schränken. “x) 
Im Juli 1830 reiste Kurfürst Wilhelm nach Wien, um der Reichenbach 
den österreichischen Fürstentitel zu verschaffen. Seine Hessen fürchteten 
schon, er werde dann dem Beispiele Philipps des Großmütigen folgen 
und das dämonische Weib förmlich zur Nebengemahlin erheben; die Akten 
über Philipps Doppelehe hatte er sich bereits nach Wilhelmshöhe kommen 
lassen. Metternich aber fand diese Zumutung doch bedenklich und verließ 
die Hauptstadt plötzlich, kurz vor der Ankunft des Gastes. Als der Kurfürst 
einige Tage darauf in Karlsbad eintraf, von der Hitze erschöpft, wütend 
wegen der vergeblichen Reise, wurde er von seiner enttäuschten Geliebten 
sehr übel aufgenommen und verfiel in schwere Krankheit. Daheim ver— 
breiteten sich unheimliche Gerüchte; man glaubte an den Tod des Kur— 
fürsten, da der Bruder der Reichenbach, Heyer von Rosenfeld, unvermutet 
in Kassel erschien, Juwelen und Staatspapiere hastig einpackte und dann 
mitsamt den Kindern seiner Schwester bei Nacht und Nebel aus dem 
Lande floh. Die Bürgerschaft sendete drei Stadträte nach Karlsbad, um 
sich von dem Zustande des Landesherrn zu überzeugen; auch der Kur- 
prinz eilte herbei und versöhnte sich mit dem kranken Vater. Mittler- 
weile ward das längst erbitterte Volk durch die Pariser und Brüsseler 
Nachrichten stark aufgeregt. Der Groll wider die Tyrannei und das 
wüste Treiben des Hofes ließ sich nicht mehr bändigen. Überall erklang 
ein Gassenhauer, der die Raubgier der Reichenbach verwünschte: „von 
dem Blutgeld jener Millionen wußt' die Bestie sich zu lohnen“ — und 
  
*) Hänleins Bericht, 10. Aug. 1830.
	        
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