130 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
stört; alle Papiere und selbst die Kasse flog ins Feuer, denn mit Maut—
geldern wollte sich niemand die Hände beflecken. Ein Demagog, der sich
General Paulsen nannte, erließ aus seinem „Hauptquartier Neu-Brüssel“
jakobinische Tagesbefehle. Um Frieden zu stiften, eilte der Kurprinz selbst
herbei, und der furchtsame junge Herr ließ sich durch die zuversichtlichen
Reden dieser harmlosen Revolutionäre dermaßen einschüchtern, daß er
ihnen bis auf weiteres Zollfreiheit versprach. In der Tat stellten die
Mauten im Hanauer und Fuldaer Lande ihre Tätigkeit ein. Diese
südlichen Provinzen, wie man am Kasseler Hofe sagte, gebärdeten sich
fast wie ein selbständiger Staat; der Talerrechnung hatten sie sich immer
erwehrt, nun sagten sich die hessischen Guldenländer auch von dem Zoll-
wesen des Kurstaates los.
Es ward hohe Zeit, daß ein von allen Teilen anerkannter Rechts-
zustand diese gemütliche Anarchie verdrängte. In solchem Sinne schrieb
Bernstorff an Hänlein: „Wir bedauern die jetzt maßlose Ungebühr des
Volks als die unausbleibliche Folge einer bis dahin ebenso maßlosen Ver-
fahrungsweise des Fürsten erkennen zu müssen.“ Wohl haben die Massen
dem Kurfürsten seine Versprechungen abgetrotzt; aber „diese Zugeständ-
nisse sind erteilt, und es ist nicht denkbar, daß ihre Zurücknahme ohne
die größte Gefahr und Zerrüttung aller noch bestehenden Verhältnisse
erfolgen könnte. Alle Wünsche müssen sich vielmehr dahin vereinigen, daß
die einmal betretene Bahn mit möglichster Schnelligkeit und Ruhe zu
einem Ziele fester gesetzlicher Ordnung führe.“)
Auf preußische Ratschläge hörte der Kurfürst niemals; nur die Angst
vor den beständig wiederholten lärmenden Kundgebungen der Kasseler bewog
ihn, sein Wort zu halten. Am 16. Oktober traten die althessischen Stände
zusammen und verstärkten sich sogleich durch Abgeordnete der übrigen Lan-
desteile. Klug und rücksichtsvoll beseitigten sie zunächst das Hemmnis,
an dem bisher jede Verständigung gescheitert war, den alten Streit um
das fürstliche Hausgut. Der Kurfürst ließ ihnen eine üÜbersicht über
den Bestand des Landesvermögens vorlegen, deren Ziffern sehr weit —
um mindestens 6 Millionen, Mißtrauische behaupteten gar um 16 Mill.
Taler — hinter der allgemeinen Erwartung zurückblieben. Der stän-
dische Ausschuß verschmähte jedoch im einzelnen zu untersuchen, was wohl
alles in den Taschen der Reichenbach und Amschel Rothschilds verschwun-
den sein mochte, und willigte in die Teilung der also angegebenen Ka-
pitalien. Aus der einen Hälfte ward ein Staatsschatz gebildet; die andere,
mit einem Ertrage von wenigstens 0,4 Mill. Tlr. jährlich, verblieb der
Dynastie als unveräußerlicher Hausschatz. Außerdem erhielt der Kurfürst
für seinen Hofhalt 392 000 Tlr. jährlich aus den Einkünften der vom
Staate verwalteten Domänen, und da er endlich noch ein großes Scha-
*) Bernstorff, Weisung an Hänlein, 12. Okt. 1830.