Entlassung Einsiedels. 145
freien Bergstadt und wurden nur durch das Versprechen höheren Lohnes
beschwichtigt. Hier ward das Haus eines katholischen Kaufmanns ge—
plündert, dort ein Ratsherr wegen seiner Strenge, ein Fabrikant wegen
seiner Maschinen, ein Kirchenpatron wegen des unbilligen Preises der
Kirchenstühle bedroht; alle Herzensneigungen des Philistertumes kamen
an den Tag, denn die Zügel des Regiments schleiften am Boden.
Nach und nach wurden auch politische Wünsche laut, da die ver—
haßte städtische Verwaltung mit der alten Ständeverfassung so eng zu—
sammenhing. Ein bei den Mittelklassen hochbeliebter tüchtiger Beamter,
C. G. Eisenstuck, der durch die Kenntnis der englischen Zustände freiere
Anschauungen gewonnen hatte, verfaßte für die Bürger der Dresdener
Neustadt eine Adresse an die Krone und wagte hier zuerst neben der
Beseitigung der städtischen Mißbräuche auch „eine dem Zeitgeist entspre—
chende Repräsentation“, vornehmlich eine Vertretung des Bauernstandes
zu fordern.
In aller Unschuld ward unter den Kommunalgardisten der Haupt—
stadt schon die Frage erwogen: ob man nicht, da so vieles zu ändern
sei, den guten alten König Anton durch freundliche Bitten zur Abdankung
bewegen solle; dann könne sein Neffe, der junge Prinz Friedrich August,
den Thron besteigen und vielleicht auch aus Liebe zum Volke den luthe—
rischen Glauben annehmen. Solche Pläne erschienen der aufgeregten Zeit
ganz unverfänglich, war doch Ludwig Philipp von den alten Mächten schon
tatsächlich anerkannt; die neue französische Revolution wirkte darum so
verführerisch auf das gutmütige deutsche Bürgertum, weil sie so glatt
verlief und so viel unschuldiger schien, als die greuelvolle erste. Der
deutsche Prinz aber dachte anders als die Orleans; er wies jene An—
schläge, sobald er davon hörte, entrüstet zurück und sagte: ich will nicht
König von Rebellen sein!
Ein festes Ziel gewann die unstete Bewegung erst, als das hohe
Beamtentum selber sich der Leitung bemächtigte. Die jüngeren Mit—
glieder des Geheimen Rates empfanden schon längst mit Unmut die
Übermacht des Geheimen Kabinetts, das sie ganz von dem Monarchen
absperrte, und den starren Dünkel des Kabenettsministers Einsiedel; sie
konnten sich auch nicht mehr verbergen, daß der König bei dem drohenden
Zusammenbruche des alten Systems mindestens der Beihilfe einer jugend—
lichen Kraft bedurfte. Dem alten Herrn waren die Unruhen ganz unbe—
greiflich; ich habe ja, sagte er traurig, alles beim alten gelassen und
keinem je etwas zuleide getan! Endlich begann er doch einzusehen,
wie gänzlich Graf Einsiedel ihn und sich selber über die Stimmung des
Volkes getäuscht hatte. Am 13. September mußte der Graf auf die Auf—
forderung des Königs sein Abschiedsgesuch einreichen; unwillig räumte er
den so lange behaupteten Posten und schrieb dem preußischen Gesandten:
„S. Maj. hat es für nötig gehalten, daß ich ihn um meine Entlassung
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 10