206 IV. 3. Preußens Mittelstellung.
willen seinen polnischen Besitz behaupten; doch eine neue Teilung Polens
könne er nicht wünschen, denn „die Verhältnisse der Polen zu den Deutschen
haben sich sehr verbittert seit jener Zeit vor sechsunddreißig Jahren; sie
sind unfähig, durch eine sanfte und gerechte Regierung wie die unsrige sich
leiten zu lassen“.“) Den Westmächten gegenüber schlug Preußen wie
Osterreich einen stolz abweisenden Ton an. Als Sebastiani die Cholera—
gefahr zum Vorwande nahm, um daraufhin die Beendigung des Krieges
zu verlangen, als Palmerston sich erdreistete, die deutschen Mächte an
Vattels Völkerrecht und die Pflichten der Neutralen zu erinnern, da er—
widerte Metternich höhnisch: es fehle gerade noch zur Vollendung der all—
gemeinen Auflösung, daß die englischen Minister sich zu Professoren des
Völkerrechts aufwürfen, und Ancillon erklärte dem Grafen Flahault, mit
ausdrücklicher Genehmigung des Königs, rundweg: zunächst müßten die
Polen sich unterwerfen, dann erst könne von Zugeständnissen gesprochen
werden.**)
Die treuen Deutschen an der Grenze dankten dem Könige aufrichtig
für seine entschlossene Haltung. Sie standen den Dingen nahe genug, um
die ungeheuere Verlogenheit der aus Warschau verbreiteten Kriegsberichte
zu würdigen; sie wußten, daß der Kampf in Polen keineswegs ungleich
war, da die geringe Überzahl der Russen durch die wohlgesicherte Stellung
der Polen an der Weichsellinie reichlich ausgeglichen wurde. Sie konnten
nur mit Lächeln das an allen Läden ausgehängte Bild „der letzten Zehn
vom vierten Regiment“, die nach ununterbrochenem Bajonettkampf den
Russen entronnen sein sollten, und die schwülstigen Verse Julius Mosens
darunter betrachten; denn sie hatten mit eigenen Augen gesehen, wie die
heldenmütigen „letzten Zehn“, noch 1800 Köpfe stark, bei Strasburg
über die Grenze flüchteten, und das gesamte vierte Regiment vor einer
Handvoll Preußen ohne Widerstand die Waffen streckte. In Berlin
aber und den entfernteren Provinzen begann die von Jahn gebrand-
markte deutsche Fremdbrüderlichkeit bald hohe Wellen zu schlagen. Nicht
zusällig hatte einst Rousseau unmittelbar vor der ersten Teilung die un-
vergleichliche Freiheit der Polen verherrlicht. Ein Gefühl der Wahlver-
wandtschaft verband den modernen Radikalismus mit der sarmatischen
Adelsanarchie; dazu der Russenhaß und die zauberische Macht der Pariser
Zeitungsphrase. Eine polenfreundliche Literatur schoß ins Kraut, deren
Anmaßung nur durch ihre Unwissenheit überboten ward; durch diese
Polenschwärmer geriet Preußen, das im Herbst 1830 von den Liberalen
nicht ohne Achtung behandelt wurde, zuerst wieder in Verruf. Da war
vor allen der aufgeklärte Spazier, der alte Lästerer Goethes, dann die
*) Gneisenau an Bernstorff, 2. Juli 1831.
**) Sebastiani, Weisung an Mortemart, 15. Mai; Palmerston, Weisung an
Cowley, 19. Juni; Metternich, Weisung an Esterhazy, 6. Juli; Ancillon, Bericht an
den König, mit dessen Randbemerkungen, 26. Juli 1831.