238 IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland.
Unterdessen ward auch der Nassauer Landtag von Stürmen heim—
gesucht. Es war der alte widerliche Zank um das Eigentum des Kammer—
guts, der die ganze Verfassungsgeschichte dieses mißhandelten Landes
ausfüllte.“) Herzog Wilhelm nannte sich selbst einen von den Wiener
Grundsätzen durchtränkten Ultraroyalisten, er erklärte es für „eine leere
Floskel“, daß die Gesetze regieren sollten, und hoffte auf die Zeit, da
man mit Hilfe des Bundes „ohne Widerstand und mit gutem Gewissen
die modernen Konstitutionen Deutschlands aufheben“ könne.“*) Einer
solchen Regierung gegenüber konnte der Landtag, der sich im Januar
1831 versammelte, wenig ausrichten; er trat bescheiden auf, verwahrte
aber das Recht des Landes auf die Kammergüter und wurde darum
nach einigen Monaten vertagt. Selbst der preußische Geschäftsträger
Heinrich von Arnim, ein geistreicher Romantiker aus dem Kreise des
Kronprinzen, konnte nicht leugnen, daß die tiefe Verstimmung des Volkes
wesentlich durch den falschen Stolz und den Eigennutz des Herzogs,
sowie durch das Pascha-Regiment seines Ministers Marschall verschuldet
war.*)
Sobald die Stände im Herbst sich wieder versammelten, vermehrte
der Herzog die Zahl der Mitglieder der Herrenkurie von sechs auf siebzehn,
um bei den gemeinsamen Sitzungen des Landtags immer der Mehrheit
sicher zu sein. Die zweite Kammer plante eine Steuerverweigerung, da
sie nicht einmal einen Rechenschaftsbericht über die Einnahmen des Kammer-
gutes mitgeteilt erhielt. Sie wurde aufgelöst, und als der neugewählte
Landtag im April 1832 zusammentrat, wußte er sich gegen den bösen Willen
der Regierung nicht mehr zu helfen. Die große Mehrheit der zweiten
Kammer erklärte nach eintägiger Sitzung ihren Austritt. Nur fünf Ge-
treue Marschalls blieben auf ihren Plätzen, und diese Fünfmännerschaft
hatte den verzweifelten Mut, das von dem Minister vorgelegte Budget bis
auf wenige Abstriche zu bewilligen. Einige Volksaufläufe in Wiesbaden
und anderen Städten wurden leicht unterdrückt; aber im Lande herrschte,
wie Arnim selbst gestand, „allgemeine Empörung“. Ein so persönlicher
Streit zwischen der Habgier des Fürstenhauses und dem Rechtsbewußtsein
des Landes mußte selbst dies friedfertige Völkchen erbittern. Sogar das
allmächtige Beamtentum konnte sich der wohlberechtigten Aufregung des
Volkes nicht entziehen.k) Gehässige Untersuchungen, welche Marschall gegen
den wackeren Kammerpräsidenten Herber und die anderen ausgetretenen
Abgeordneten einleiten ließ, gossen nur Ol ins Feuer. Der Herzog be-
lohnte die ergebenen Mitglieder der Herrenkurie, schalt auf sein unge-
*) Vgl. II. 377.
**) Witzlebens Tagebuch, 12. September 1825. Arnims Bericht, 18. Septem-
ber 1832.
***) Arnims Berichte, 13. Mai 1831 ff.
Arnims Berichte, 16., 17. Mai, 19. Juni, 2. Sept. 1832.