Das Bürgerkönigtum. 17
Die Regierung der Bourgeoisie war wie jede Geldherrschaft friedfertig,
und sie entstammte doch einer Revolution, deren treibende Kraft in dem
streitbaren Radikalismus lag. Erst unter diesem friedlichen Bürgerkönig—
tum hat der kriegerische Ubermut der Franzosen seine höchste Ausbildung
und auch, nach einem glücklichen Lustspiel Scribes, den neuen Namen des
Chauvinismus empfangen. Alle Völker der Welt brachten dem Helden-
volke der großen Woche wetteifernd ihre Huldigungen dar; so einstimmig
war selbst der Bastillesturm nie gepriesen worden. Wie hätten diese
Weihrauchswolken den Franzosen nicht das Hirn betören sollen? Die
große Mehrheit der Nation glaubte im Ernst, daß ihr als dem aus-
erwählten Volke nicht bloß das Recht des Aufstands, sondern auch das
Recht des Krieges ohne jede Beschränkung zustehe; denn rings an ihren
Grenzen wohnten Sklaven, die von ihr die Befreiung erhofften; Frank-
reichs Eroberungszüge galten immer nur dem Siege der Idee, sie ließen,
wie der Nil den befruchtenden Schlamm, überall den Segen der Gesittung
und der Freiheit zurück; der junge Stamm des revolutionären Königs-
hauses mußte mit Blut gedüngt werden, damit er festwurzele, und jedes
Volk sollte es als eine Wohltat dankbar hinnehmen, wenn die Franzosen
ihm sein Herzblut für einen so erhabenen Zweck abzapften. So klang es
tausendstimmig durch die Presse in ehrlicher Begeisterung.
Das neue künstliche Königtum aber, das alle diese gefährlichen Lei-
denschaften und sozialen Gegensätze bändigen sollte, war von Haus aus
mit dem Fluche der Halbheit, der Unwahrheit geschlagen. Der Bürger-
könig verdankte seinen Thron weder dem historischen Rechte, noch wie
Napoleon der gewaltigen demokratischen Macht der allgemeinen Volksab-
stimmung, sondern dem Beschlusse einer Kammer von zweifelhafter Gesetz-
lichkeit. Als rechtmäßiger Statthalter König Heinrichs V. konnte Ludwig
Philipp gegen die fremden Mächte eine stolze, Frankreichs würdige Sprache
führen; als König mußte er den Makel des Kronenraubes beständig ent-
schuldigen und verstecken, ohne doch den revolutionären Ursprung seiner
Gewalt geradeswegs zu verleugnen. Er nannte sich nicht Philipp VII.,
denn er war nicht ein rechtmäßiger Nachfolger König Philipps VI.; aber
auch nicht Philipp I., denn er wollte nicht schlechthin als Usurpator er-
scheinen; also Ludwig Philipp, und nicht König von Frankreich, sondern
König der Franzosen. Dieser Titel wurde von der gesamten liberalen
Welt als ein absonderliches Kennzeichen konstitutioneller Glückseligkeit be-
wundert, obwohl sich auch Friedrich der Große auf seinen Münzen stets
Borussorum rex genannt hatte; selbst den Ausdruck „Untertan“, der doch
genau das nämliche bedeutete wie der allein erlaubte Name des Staats-
bürgers, wollte der revolutionäre Hochmut nicht mehr hören.
Die Orleans mußten sich den Schein der Legitimität zu wahren
suchen; ihre Hofblätter versicherten nicht ohne Grund, Ludwig Philipp
habe den Thron bestiegen, weil er ein Bourbone sei. Aber ebenso hart-
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 2