Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Das Bürgerkönigtum. 17 
Die Regierung der Bourgeoisie war wie jede Geldherrschaft friedfertig, 
und sie entstammte doch einer Revolution, deren treibende Kraft in dem 
streitbaren Radikalismus lag. Erst unter diesem friedlichen Bürgerkönig— 
tum hat der kriegerische Ubermut der Franzosen seine höchste Ausbildung 
und auch, nach einem glücklichen Lustspiel Scribes, den neuen Namen des 
Chauvinismus empfangen. Alle Völker der Welt brachten dem Helden- 
volke der großen Woche wetteifernd ihre Huldigungen dar; so einstimmig 
war selbst der Bastillesturm nie gepriesen worden. Wie hätten diese 
Weihrauchswolken den Franzosen nicht das Hirn betören sollen? Die 
große Mehrheit der Nation glaubte im Ernst, daß ihr als dem aus- 
erwählten Volke nicht bloß das Recht des Aufstands, sondern auch das 
Recht des Krieges ohne jede Beschränkung zustehe; denn rings an ihren 
Grenzen wohnten Sklaven, die von ihr die Befreiung erhofften; Frank- 
reichs Eroberungszüge galten immer nur dem Siege der Idee, sie ließen, 
wie der Nil den befruchtenden Schlamm, überall den Segen der Gesittung 
und der Freiheit zurück; der junge Stamm des revolutionären Königs- 
hauses mußte mit Blut gedüngt werden, damit er festwurzele, und jedes 
Volk sollte es als eine Wohltat dankbar hinnehmen, wenn die Franzosen 
ihm sein Herzblut für einen so erhabenen Zweck abzapften. So klang es 
tausendstimmig durch die Presse in ehrlicher Begeisterung. 
Das neue künstliche Königtum aber, das alle diese gefährlichen Lei- 
denschaften und sozialen Gegensätze bändigen sollte, war von Haus aus 
mit dem Fluche der Halbheit, der Unwahrheit geschlagen. Der Bürger- 
könig verdankte seinen Thron weder dem historischen Rechte, noch wie 
Napoleon der gewaltigen demokratischen Macht der allgemeinen Volksab- 
stimmung, sondern dem Beschlusse einer Kammer von zweifelhafter Gesetz- 
lichkeit. Als rechtmäßiger Statthalter König Heinrichs V. konnte Ludwig 
Philipp gegen die fremden Mächte eine stolze, Frankreichs würdige Sprache 
führen; als König mußte er den Makel des Kronenraubes beständig ent- 
schuldigen und verstecken, ohne doch den revolutionären Ursprung seiner 
Gewalt geradeswegs zu verleugnen. Er nannte sich nicht Philipp VII., 
denn er war nicht ein rechtmäßiger Nachfolger König Philipps VI.; aber 
auch nicht Philipp I., denn er wollte nicht schlechthin als Usurpator er- 
scheinen; also Ludwig Philipp, und nicht König von Frankreich, sondern 
König der Franzosen. Dieser Titel wurde von der gesamten liberalen 
Welt als ein absonderliches Kennzeichen konstitutioneller Glückseligkeit be- 
wundert, obwohl sich auch Friedrich der Große auf seinen Münzen stets 
Borussorum rex genannt hatte; selbst den Ausdruck „Untertan“, der doch 
genau das nämliche bedeutete wie der allein erlaubte Name des Staats- 
bürgers, wollte der revolutionäre Hochmut nicht mehr hören. 
Die Orleans mußten sich den Schein der Legitimität zu wahren 
suchen; ihre Hofblätter versicherten nicht ohne Grund, Ludwig Philipp 
habe den Thron bestiegen, weil er ein Bourbone sei. Aber ebenso hart- 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 2
	        
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