Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die Polen in Süddeutschland. 255 
Wie hätte das badische Land von dem Lärm der Nachbarn unberührt 
bleiben können! Sobald man im Frühjahr 1832 erfuhr, daß der Bundes- 
tag gegen das badische Preßgesetz einzuschreiten denke, veranstalteten die 
Liberalen in Mannheim, Freiburg und anderen Orten große Volksver- 
sammlungen und beschlossen unter stürmischen Reden, den Großherzog 
um die Wahrung der Preßfreiheit zu bitten. Leopold weigerte sich, die 
Adressen anzunehmen; aber ließ man die Dinge gehen, so konnte auch 
diese Bewegung leicht gefährlich werden, hatten doch erst kürzlich die bel- 
gischen Klerikalen durch einen wohlgeleiteten Adressensturm ihren Aufstand 
vorbereitet. Die von Siebenpfeiffer verherrlichte „Doppeleiche der Tribüne 
und der Presse, unter deren Schatten die Menschheit unaufhaltsam zum 
Besseren hinanschreitet“, wurde dem Bundestage unheimlich. Er ver- 
bot am 2. März die Tribüne, den Westboten, die Hanauer Zeitschwingen, 
während das Berliner Auswärtige Amt zugleich die süddeutschen Höfe zur 
Wachsamkeit mahnte.5) Die bayrische Regierung benahm sich sehr schwach; 
sie führte den Bundesbeschluß nur unvollständig aus, weil sie ihrer Sou- 
veränität nichts vergeben wollte, und duldete sogar, daß der Vaterlands- 
verein, den sie selbst verboten hatte, ungescheut seine Arbeit fortsetzte. 
Die süddeutsche Bewegung mußte den großen Mächten umso be- 
denklicher erscheinen, da die Polen ersichtlich überall die Hände im Spiele 
hatten. Mit rührendem Eifer, als gälte es dem eigenen Lande, hatten 
viele süddeutsche Städte den Polen während des Krieges Gelder zugesendet; 
in Mainz entstand sogar ein Mädchenverein, der für die Helden des 
Ostens Scharpie zupfte. Seit dem Herbst 1831 ergossen sich die Scharen 
der Warschauer Flüchtlinge selber über Süddeutschland. Den stärksten 
Haufen führten, mit rotweißen Schärpen prächtig angetan, drei volnische 
Generale: der Italiener Ramorino und die Deutschen Langermann und 
Schneider — der lettztere hatte sich freilich in einen Polen Sznayde ver- 
wandelt. Sie wurden in Regensburg und Augsburg von den Offizierkorps 
als Kameraden aufgenommen, in Stuttgart bereitete ihnen der Brauer 
Denninger, ein Straßburger Jude, festlichen Empfang, in Freiburg ver- 
anstalteten Rotteck, Welcker und die Offiziere ein großes Polenbankett. So 
stark war die Macht der napoleonischen Erinnerungen und der liberalen 
Phrase, so schwach das nationale Ehrgefühl im Bundesheere, daß deutsche 
Offiziere mit den Todfeinden Preußens sich verbrüdern konnten. Überall 
im Süden sang man „Noch ist Polen nicht verloren“ oder „Denkst du 
daran, mein tapferer Lajenka“ oder „Die freie keusche Maid im rot und 
weißen Kleid“. Andachtsvoll lauschten die badischen und bayrischen Libe- 
ralen den tollen Prahlereien der nordischen Gäste; sie verwunderten sich 
auch nicht, als das Pariser Nationalkomitee der Polen in einem Mani- 
feste an die deutsche Nation die bescheidene Behauptung aufstellte: „die 
  
*.) Ancillon, Weisung an Otterstedt, 8. März, an Küster, 9. März 1832.
	        
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