Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

20 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
ging er zu Fuß durch die Straßen, in sauberer Bürgerkleidung, den Zylin- 
der über dem feisten birnenförmigen Bankiersgesichte und der wohlgebürsteten 
Lockenperücke, und spannte, wenn der Regen eintrat, höflich seinen Schirm 
auf, um einen überraschten Bourgeois am Arme nach Hause zu geleiten. 
Nachher, da er sich auf dem Throne sicherer fühlte, mußte er die ehr- 
geizigen Parteiführer der Kammer gegeneinander ausspielen, damit unter 
dem Scheine der Parlamentsherrschaft sein persönliches Regiment gewahrt 
blieb. Er bemühte sich eifrig, seinem Hause die Gleichberechtigung mit 
den legitimen Höfen zu verschaffen und zügelte den kriegerischen Über- 
mut der Nation, weil jeder Krieg die Revolution von neuem zu entfesseln 
drohte; doch zugleich benutzte er die Gefahr der Revolution als ein Schreck- 
mittel, um auf die großen Mächte zu drücken und allerhand kleine anmaß- 
liche Ansprüche Frankreichs durchzusetzen. So erhielt er sich lange obenauf, 
seiner Mäßigung verdankten die Franzosen viele Jahre blühenden Wohl- 
standes; aber seine Regierung blieb immer nur ein unfruchtbarer Kampf 
ums Dasein, sie brachte dem Lande niemals einen neuen politischen Ge- 
danken, sie bereitete durch die sündliche Vernachlässigung der arbeitenden 
Massen die schweren sozialen Kämpfe der Zukunft vor. 
An dieser Revolution war nichts zu bewundern außer dem pers önlichen 
Mute der Barrikadenkämpfer. Mindestens ebenso schwer wie die Ver- 
messenheit König Karls wog die Schuld der liberalen Parteien. Sie hatten 
das gemäßigte Ministerium Martignac gestürzt und durch eine gehässige 
Opposition den König in eine solche Lage gebracht, daß er nur noch wählen 
konnte zwischen dem Staatsstreiche und der förmlichen Anerkennung der 
Parlamentsherrschaft. Als dann der Verfassungsbruch durch die Abdan- 
kung des Königs gesühnt war, da wagten sie nicht einmal den Versuch, 
das Thronrecht der Dynastie zu retten. Die Briten beriefen sich, als 
sie die Stuarts vertrieben, auf den unanfechtbaren Rechtssatz, daß ein 
Papist nicht König von England, nicht Oberhaupt der anglikanischen 
Staatskirche sein durfte. Gegen die Regierung Heinrichs V. sprach schlech- 
terdings kein Rechtsgrund, sondern nur der blinde Haß der Nation und 
die modische leichtfertige Doktrin, welche Mignet zusammenfaßte in dem 
Satze: nach einer Revolution muß auch der Thron ebenso neu werden 
wie alle übrigen Institutionen. Also ward das letzte schwache Band, das 
noch das neue mit dem alten Frankreich verkettete, unbedachtsam zerrissen. 
Die Juli-Revolution schloß nicht das Zeitalter der Revolutionen, wie 
ihre Urheber frohlockten, sie eröffnete vielmehr die Bahn für eine unab- 
sehbare Reihe neuer bürgerlicher Kämpfe; darum war sie, menschlich in 
vielem entschuldbar, durch ihre politische Wirkung die verderblichste der 
französischen Revolutionen unseres Jahrhunderts. Doch wie hätten die 
Zeitgenossen alle diese Folgen ahnen können? Am richtigsten urteilten 
vielleicht die preußischen Generale und eine kleine Anzahl von besonnenen 
Konservativen in Deutschland. Die Liberalen aller Länder hielten sich
	        
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