20 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
ging er zu Fuß durch die Straßen, in sauberer Bürgerkleidung, den Zylin-
der über dem feisten birnenförmigen Bankiersgesichte und der wohlgebürsteten
Lockenperücke, und spannte, wenn der Regen eintrat, höflich seinen Schirm
auf, um einen überraschten Bourgeois am Arme nach Hause zu geleiten.
Nachher, da er sich auf dem Throne sicherer fühlte, mußte er die ehr-
geizigen Parteiführer der Kammer gegeneinander ausspielen, damit unter
dem Scheine der Parlamentsherrschaft sein persönliches Regiment gewahrt
blieb. Er bemühte sich eifrig, seinem Hause die Gleichberechtigung mit
den legitimen Höfen zu verschaffen und zügelte den kriegerischen Über-
mut der Nation, weil jeder Krieg die Revolution von neuem zu entfesseln
drohte; doch zugleich benutzte er die Gefahr der Revolution als ein Schreck-
mittel, um auf die großen Mächte zu drücken und allerhand kleine anmaß-
liche Ansprüche Frankreichs durchzusetzen. So erhielt er sich lange obenauf,
seiner Mäßigung verdankten die Franzosen viele Jahre blühenden Wohl-
standes; aber seine Regierung blieb immer nur ein unfruchtbarer Kampf
ums Dasein, sie brachte dem Lande niemals einen neuen politischen Ge-
danken, sie bereitete durch die sündliche Vernachlässigung der arbeitenden
Massen die schweren sozialen Kämpfe der Zukunft vor.
An dieser Revolution war nichts zu bewundern außer dem pers önlichen
Mute der Barrikadenkämpfer. Mindestens ebenso schwer wie die Ver-
messenheit König Karls wog die Schuld der liberalen Parteien. Sie hatten
das gemäßigte Ministerium Martignac gestürzt und durch eine gehässige
Opposition den König in eine solche Lage gebracht, daß er nur noch wählen
konnte zwischen dem Staatsstreiche und der förmlichen Anerkennung der
Parlamentsherrschaft. Als dann der Verfassungsbruch durch die Abdan-
kung des Königs gesühnt war, da wagten sie nicht einmal den Versuch,
das Thronrecht der Dynastie zu retten. Die Briten beriefen sich, als
sie die Stuarts vertrieben, auf den unanfechtbaren Rechtssatz, daß ein
Papist nicht König von England, nicht Oberhaupt der anglikanischen
Staatskirche sein durfte. Gegen die Regierung Heinrichs V. sprach schlech-
terdings kein Rechtsgrund, sondern nur der blinde Haß der Nation und
die modische leichtfertige Doktrin, welche Mignet zusammenfaßte in dem
Satze: nach einer Revolution muß auch der Thron ebenso neu werden
wie alle übrigen Institutionen. Also ward das letzte schwache Band, das
noch das neue mit dem alten Frankreich verkettete, unbedachtsam zerrissen.
Die Juli-Revolution schloß nicht das Zeitalter der Revolutionen, wie
ihre Urheber frohlockten, sie eröffnete vielmehr die Bahn für eine unab-
sehbare Reihe neuer bürgerlicher Kämpfe; darum war sie, menschlich in
vielem entschuldbar, durch ihre politische Wirkung die verderblichste der
französischen Revolutionen unseres Jahrhunderts. Doch wie hätten die
Zeitgenossen alle diese Folgen ahnen können? Am richtigsten urteilten
vielleicht die preußischen Generale und eine kleine Anzahl von besonnenen
Konservativen in Deutschland. Die Liberalen aller Länder hielten sich