Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Preußens beschwichtigende Erklärung. 275 
unwillig aus; beim Ordensfeste, im Januar, hörte er wohlgefällig zu, als 
Bischof Eylert in bedientenhafter Rede die Liebe zum Landesvater für die 
wahre preußische Verfassung erklärte und dies tapfere Volk mit glücklichen 
Kindern verglich. Von den verheißenen Reichsständen durfte ihm niemand 
mehr sprechen; selbst über Dahlmanns so würdig und achtungsvoll ge— 
haltene „Rede eines Fürchtenden“ mußte der Gesandte in Hannover sich be— 
schweren. Noch ängstlicher dachte Ancillon. Ihm gereichte zur hohen Freude, 
daß er seine Laufbahn als Minister sogleich mit einem Hauptschlage wider 
die Demagogen eröffnen konnte. Immer wieder versicherte er dem Wiener 
Hofe, Osterreich und Preußen müßten Deutschland retten, trotz der neuen 
„improvisierten Verfassungen, dieser schlechten Nachahmungen eines fehler— 
haften Vorbildes“; sie müßten „Deutschlands Souveräne elektrisieren“, 
nachdem „die Revolution jetzt ihre Maske gelüftet, ihr Banner entfaltet“ 
habe. Aufrichtig war seine Befriedigung, als „das wahre Deutschland, 
das im Bundestage verkörperte Deutschland“ endlich gesprochen und also 
dem ganzen Weltteile „einen Rettungsanker“ dargeboten hatte.“) So- 
bald er aber den tiefen Unwillen bemerkte, der sich vornehmlich in den 
Kreisen des hohen Beamtentums lebhaft äußerte, ward er selbst unsicher 
und riet dem Könige, seinen treuen Untertanen ausdrücklich zu erklären, 
daß er sie nicht durch unverdientes Mißtrauen verletzen wolle. So geschah, 
was bisher unerhört gewesen: Preußen selbst erlaubte sich einen bayrischen 
Vorbehalt. Als Friedrich Wilhelm im September die Bundesbeschlüsse 
veröffentlichen ließ, beteuerte er zugleich mit warmen Worten: damit 
erfülle er nur seine Pflicht als Bundesfürst, in Preußen sei die Ruhe 
nie gestört worden, in dem Vertrauen und der erprobten Zuneigung 
seines Volkes besitze er die zuverlässigste Bürgschaft für die Erhaltung 
des inneren Friedens. 
Noch größer war die Verlegenheit der konstitutionellen Fürsten. Im 
Gefühle ihrer Ohnmacht schaukelten sie sämtlich schon seit Jahren zwischen 
dem Bundestage und den Landtagen hin und her; daß der Bund ihnen 
einen Rückhalt bot gegen die Ansprüche der Landstände, war ihnen allen 
hochwillkommen. Aber an einen Verfassungsbruch dachten sie nicht; nur 
der Herzog von Nassau und der kurhessische Prinzregent mochten sich ins— 
geheim mit Staatsstreichsplänen tragen. Als ihnen nun allüberall die 
Klage entgegenscholl, durch die Sechs Artikel würden die Landesverfassungen 
in ihren Grundfesten bedroht, da fühlten sie sich im Gewissen bedrängt, 
denn eine solche Absicht hatten sie bei der Annahme der Bundesbeschlüsse 
wirklich nicht gehegt, und suchten ihre aufgeregten Völkchen zu beschwich— 
tigen. Selbst du Thil, der Hochkonservative, bat seinen Großherzog, bei 
der Bekanntmachung der Bundesgesetze zugleich zu versichern, daß die 
  
*) Ancillon, Weisungen an Maltzahn, 4., 14. Juni, 9. Juli, an Brockhausen, 
23. Juli, 13. Aug. 1832. 
18“
	        
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