Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Reaktion in Kurhessen. 279 
der Meinung gelangen, daß die Höfe mit deutscher Redlichkeit ein frevel— 
haftes Spiel trieben. 
Alle anderen konstitutionellen Fürsten außer jenen fünf veröffentlichten 
die Bundesbeschlüsse ohne Vorbehalt. Der hessische Mitregent benutzte 
zugleich den willkommenen Vorwand, um sich seiner Stände für einige Zeit 
zu entledigen. Die Aufregung der letzten Jahre zitterte in dem unglück— 
lichen Lande noch zuweilen nach. Bei den üblichen Polenfesten erklangen 
stürmische Pereats auf die drei Ostmächte; in Hanau meuterten einmal 
sogar die Soldaten, unter Hochrufen auf Frankreich und Polen; die deutschen 
Farben sah man überall, auf Fahnen und Kokarden, auch auf den Schnupf— 
tüchern der Handwerksburschen. Immerhin ließ sich schon deutlich erkennen, 
daß die Hessen der ewigen Unruhen müde wurden; auch die Freude an 
dem zeitraubenden Soldatenspiele der Bürgergarden erkaltete sichtlich. Der 
Kurprinz aber und sein Hassenpflug verbargen kaum, daß sie einen Streit mit 
den Landständen und dann den Einmarsch preußischer Truppen wünschten. 
Je näher Hänlein den Charakter dieses Fürsten kennen lernte, um so klarer 
ward ihm, „daß dem Kurprinzen weder zu raten noch zu helfen ist, und 
daß er bei seiner Eintagspolitik seinem unvermeidlichen Schicksal nicht ent- 
gehen wird.“*) Es war allein die Schuld des Regenten, daß der Landtag 
in einer Tagung von sechzehn Monaten nur ein einziges wohltätiges Gesetz 
zustande brachte: das Gesetz über die Ablösung der Reallasten und die 
Bildung einer Landeskreditkasse. So tat Kurhessen endlich den ersten 
Schritt auf der Bahn der befreienden Agrargesetzgebung, die in den Nach- 
barstaaten längst betreten war. Fast alles aber, was die Stände sonst noch 
beantragten, blieb im Kabinett unerledigt liegen, und allerdins erschwerte 
Jordan mit seinen Freunden jede Verständigung durch Übermut und 
unmögliche Zumutungen. Der begeisterte Doktrinär gebärdete sich, als 
ob Kurhessen auf einer Insel im Weltmeere läge: niemals, rief er stolz, 
wird unser Landtag die Rute des Bundestags küssen! Vergeblich gewarnt 
von den Gesandten der beiden Großmächte, betrieb er mit Feuereifer die 
Beratung eines Preßgesetzes — eben jetzt, da der Bundestag so handfest 
gegen die Zeitungen vorging und die Vernichtung des badischen Preßge- 
setzes, wie jedermann wußte, nahe bevorstand. Als die Stände dann 
über diehessische Preßfreiheit schlüssig geworden, versicherte Burkard Pfeiffer 
drohend: die Regierung müsse diesen Entwurf alsbald genehmigen, „wenn 
anders nicht das feierlich gegebene Fürstenwort nur als leere Form, der 
wiederholte Schwur der Minister nur als Gaukelspiel mit zerbrechlichen 
Eiden erscheinen soll.“ 
So erbittert standen die Parteien einander gegenüber, als die neuen 
Bundesbeschlüsse ruchbar und gleich darauf vom Kurprinzen amtlich ver- 
kündigt wurden. Die Stände tobten. Während Pfeiffer in schwungvoller 
  
*) Hänleins Berichte, 25. Febr., 13. März 1832.
	        
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