Katholikenemanzipation in England. 21
an den Augenschein, sie sahen in dem Pariser Straßenkampfe nur die
hochherzige, berechtigte Notwehr gegen den Verfassungsbruch, und da
der Name: Verfassung zur Zeit überall einen unwiderstehlichen Zauber
auf die Gemüter ausübte, das historische Recht der Dynastien aber von
der herrschenden Doktrin sehr geringschätzig behandelt wurde, so bemerkte
man die schwere Rechtsverletzung kaum und freute sich unbefangen des
Heldentums der großen Woche. Durch die Herrschaft der französischen
Bourgeoisie erhielt der Kampf, welchen in vielen Nachbarlanden die Mittel-
klassen schon längst gegen die Überreste der feudalen Gesellschaftsordnung
führten, eine mächtige Unterstützung; und so geschah es, daß eine Be-
wegung, die in Frankreich selbst fast nur Unheil zeitigte, mittelbar in
anderen Ländern, und nicht zuletzt in Deutschland, einen notwendigen,
heilsamen Umschwung des politischen Lebens förderte. —
Einen überraschend starken Widerhall fanden die Pariser Ereignisse
in dem Lande, das vordem der ersten französischen Revolution am
zähesten widerstanden hatte. Seit Canning sich von dem Bunde der Ost-
mächte losgesagt, war auch Englands parlamentarisches Leben wieder in
frischeren Zug gekommen: durch Huskisson wurden die harten Zollgesetze
etwas gemildert, Canning selbst näherte sich kurz vor seinem Tode der
erstarkenden Partei der Whigs. Die öffentliche Meinung wendete sich
wieder jenen Reformplänen zu, welche einst Pitt in seinen hoffnungsvollen
ersten Jahren entworfen, aber dann in der Bedrängnis der Kriegszeiten
vertagt hatte. Während der langen Jahre, da die Staaten des Festlands
durch den aufgeklärten Absolutismus oder durch die Revolution neu ge-
staltet wurden, hatte England seine beste Kraft verbraucht für die Begrün-
dung seines Kolonialreichs und seine innere Gesetzgebung fast ganz ins
Stocken geraten lassen. Jetzt erkannte die Nation endlich, wie viel ver-
säumt war, und so übermächtig drängte sich das Bedürfnis der Neuerung
auf, daß mehrere der kühnsten Reformen der nächsten Jahrzehnte durch
streng konservative Staatsmänner vollzogen wurden. So gleich die erste,
die Emanzipation der Katholiken, das Werk Wellingtons und Peels (1829).
Selbst diese Torys fühlten, daß bei längerem Zaudern der Bürgerkrieg,
vielleicht der Abfall des schändlich mißhandelten Irlands drohte, daß der
uralte, soeben durch O'Connells flammende Reden wieder mächtig an-
gefachte Haß der katholischen Kelten durch eine Tat der Gerechtigkeit be-
schwichtigt werden mußte.
Die maßvolle Reform holte nur nach, was Deutschland schon längst,
die übrigen Staaten des Festlands seit den napoleonischen Tagen er-
reicht hatten. Die Herrschaft der Aristokratie war aber mit den Vor-
rechten der Staatskirche fest verflochten. Wie im zwölften Jahrhundert
der Streit mit der römischen Kirche die Vollgewalt der Normannenkönige
zuerst geschwächt und der reichsständischen Bewegung des folgenden Jahr-
hunderts die Bahn gebrochen hatte, so erschütterte jetzt der erste Stoß