Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

288 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
Hochmut des Selbstherrschers steigern; je eifriger sie den Teufel an die 
Wand malte, je lauter sie den Zaren als den Zwingherrn Mitteleuropas 
verlästerte, um so höher stieg sein Ansehen in der diplomatischen Welt. 
Zum Nikolaustage gab Münch den Bundesgesandten ein Festmahl und 
rief unter brausendem Beifall: „Lange lebe er zum Schutz und Hort der 
Könige, die für das Glück und Wohl ihrer Völker wachen und wirken.“) 
Die in Europa längst verbreiteten übertriebenen Vorstellungen von Ruß- 
lands Macht konnten durch die maßlose Feindseligkeit der Polenfreunde 
nur verstärkt werden. Noch einige Jahre, und der Zar erlangte wirklich 
die führende Stellung in dem nordischen Bunde, die man ihm jetzt schon 
fälschlich zuschrieb. — 
Ein ernsthafter parlamentarischer Kampf gegen die Sechs Artikel wurde 
nur in einem deutschen Lande, in Württemberg gewagt, aber viel zu spät 
und unter den denkbar ungünstigsten Umständen. Als das Jahr 1833 
herannahte und die verfassungsmäßige Frist ablief, mußte sich König Wil- 
helm endlich doch zur Einberufung des längst gewählten Landtags ent- 
schließen. Er hatte unterdessen an dem neuen Justizminister Schlayer 
einen Mann nach seinem Herzen gefunden, einen ausgezeichneten Juristen, 
der durch rastlosen Fleiß aus niederem Stande emporgekommen war und, 
schon in der Jugend ein abgesagter Feind der Altrechtler, durch und durch 
moderner Bureaukrat, beredt, heftig, schlagfertig, geschäftskundig, alsbald 
seinen Entschluß aussprach, die Opposition mit eiserner Strenge niederzu- 
halten. Ebensowenig wie Schlayer verstanden Maucler und der durch 
seinen Nepotismus berüchtigte Minister Hügel sich die Herzen der Schwaben 
zu gewinnen. 
Die Gesinnung der Regierung ward schon offenbar, als Wangenheim 
an den Vorbesprechungen der liberalen Abgeordneten teilnahm. Der 
König sah in dieser Haltung seines vormaligen Ministers nur schwarzen 
Undank, nachdem er ihm soeben selbst das Staatsbürgerrecht gnädig erneuert 
hatte, *) und plötzlich erklärten die Behörden, zur Überraschung der arg- 
losen Wähler, daß Wangenheim nicht wählbar sei, weil er nicht im König- 
reiche wohne; sie beriefen sich auf einen allerdings übelgeratenen und 
nicht ganz unanfechtbaren Satz der Verfassungsurkunde. Wangenheim fiel 
aus allen seinen Himmeln. Er hatte sich, wie dem Könige wohlbekannt 
war, sein Staatsbürgerrecht nur darum bestätigen lassen, weil er in den 
Landtag eintreten wollte; da ward ihm unversehens ein Bein gestellt 
und die Wählbarkeit bestritten. Mit Aufwendung aller seiner dialektischen 
Künste versuchte er dann die Gültigkeit seiner Wahl zu verteidigen; er 
veröffentlichte eine umfängliche Schrift darüber und scheute sich nicht, eine 
Stelle aus einem vertraulichen Briefe des Königs abzudrucken. Nun 
  
*) Blittersdorffs Bericht, 22. Dez. 1832. 
**) Vgl. IV. 240.
	        
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