Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

296 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
Südens; seine Hoffnung war, die tödlich gehaßte preußische Regierung durch 
einen unablässigen kleinen Krieg zu ermüden.“) Der neugebildete deutsche 
Preßverein zu Paris stand in Verbindung mit der Gesellschaft der Menschen- 
rechte, mit den Straßburger Amis du peuple, mit Lelewels polnischem 
Nationalkomitee, mit jenem großen „Depot“ polnischer Krieger, das die 
französische Regierung freundnachbarlich in Besancon, nahe der deutschen 
Grenze eingerichtet hatte. 
Und schon versuchte der größte, kühnste, edelste aller internationalen 
Demagogen, der Genuese Giuseppe Mazzini seine starken Hände auch 
nach den deutschen Radikalen auszustrecken. Seit einiger Zeit war dieser 
echte Landsmann Machiavellis die Verzweiflung aller Polizeibehörden des 
Festlandes; wie ein Aal glitt er ihnen zwischen den Fingern durch; überall 
trieb er sein Wesen, neuerdings in Paris unter dem Namen Strozzi. 
Mit der glühenden Inbrunst des Mystikers glaubte er an die gottgewollte 
Volksherrschaft überall auf Erden; die Jugend sollte dieser Teo-Democrazia 
zum Siege verhelfen, mit jedem Mittel des Aufruhrs, des Mordes, der 
Lüge. „Es ist wesentlich"“ — so schrieb er dem Badener Garnier — „daß 
die Jugend die Geschicke der Menschheit in die Hand nimmt, denn sie 
allein besitzt Kraft, Ausdauer, Begeisterung, sie allein ist fähig, aus der 
Freiheit eine Religion zu machen.“ Von Marseille aus hatte er bereits 
den Geheimbund des Jungen Italiens gestiftet, der mit der wohlgegliederten 
Hierarchie seiner Ordinatoren und Propagatoren schon mehrere Städte 
der Halbinsel beherrschte; ein Junges Polen war in der Bildung begriffen, 
nun sollten auch die deutschen Unzufriedenen für ein Junges Deutschland 
angeworben werden — und so weiter, bis endlich das vereinigte Junge 
Europa Macht gegen Macht den Kabinetten trotzen könne.) 
Die deutschen Regierungen vermochten nur selten eines Fadens aus 
diesen Gespinsten habhaft zu werden; was sie erfuhren, genügte immerhin, 
um ihr Mißtrauen gegen den Pariser Hof zu verschärfen. Große Erfolge 
der radikalen Propaganda konnte Ludwig Philipp unmöglich wünschen, weil 
er für seinen Bürgerthron zittern mußte. Als er einmal einen Mord- 
anschlag italienischer Demagogen gegen sein eigenes Leben befürchtete, bat 
er die Wiener Hofburg unbedenklich um ihren Beistand. Gleichwohl blieb 
Frankreich das große Asyl des Radikalismus. Gedrängt durch die öffentliche 
Meinung, eröffnete der Bürgerkönig, wie Casimir Perier bitter sagte, „allen 
Revolutionen ein Kontokorrent“. Tausende von Flüchtlingen lebten in 
Paris und den Provinzen; die Regierung überwachte sie, gewährte ihnen 
aber auch Millionen zur Unterstützung. Namentlich die deutschen Flüchtlinge 
erfreuten sich ihrer Gunst. Man wußte im Palais Royal merkwürdig 
genauen Bescheid über die demagogischen Umtriebe jenseits des Rheines, 
  
*) Frankenbergs Bericht, Berlin, 17. März 1832. 
*“) Strozzi (Mazzini) an Garnier, Paris, 17. Febr. 1823.
	        
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