Mehemed Alis Erhebung. 325
selbst in der orientalischen Frage, welche die beiden Kaisermächte schon so
oft entzweit hatte, dem Petersburger Kabinett eine ganz unerwartete Unter—
würfigkeit erwies.
So hoffärtig und leidenschaftlich die russische Politik im Westen auf—
trat, ebenso klug und überlegen zeigte sie sich im Orient, wo sie allein
den Boden genau kannte. Seit dem Frieden von Adrianopel spielte der
Zar die Rolle des hochherzigen Beschützers der Türkei. Er erleichterte
dem Sultan die Ausführung des Friedensvertrages in jeder Weise, erließ
ihm einen großen Teil der Kriegskosten, suchte die Pforte durch seine
Geschöpfe mittelbar zu beherrschen, und seine Kronräte gelangten nach
reiflicher Beratung sogar zu dem förmlichen Beschlusse, daß die Erhaltung
des osmanischen Reiches vorläufig im Interesse Rußlands geboten sei.
Als freilich das Londoner Kabinett den Wunsch aussprach, Rußland möge
die Unverletzlichkeit der Türkei durch einen Vertrag mit England sicher—
stellen, da wurde das harmlose Ansinnen in Petersburg entschieden zurück—
gewiesen.
Seit dem Jahre 1831 begannen neue Gefahren über das Türkenreich
heraufzuziehen. Mehemed Ali, der gewaltige Vizekönig von Agypten, der
Bekämpfer der griechischen Giaurs, heischte von dem Großherrn die längst
versprochene Belehnung mit den syrischen Paschaliks, er wagte den Auf-
ruhr, und in unaufhaltsamem Siegeszuge führte sein Sohn Ibrahim das
Heer der Agypter durch Syrien bis in den Nordwesten Kleinasiens. Zu
Anfang 1833 standen die Sieger nur noch wenige Märsche vom Bos-
porus entfernt, der Hauptstadt fast ebenso nahe wie Diebitsch vier Jahre
zuvor, und wieder wie damals meinte die erschrockene europäische Diplo-
matie schon das Ende der Osmanenherrschaft vor Augen zu sehen. In
Wahrheit konnte diese furchtbare Empörung dem wankenden türkischen
Reiche vielleicht die Rettung bringen, wenn anders Rettung noch möglich
war. Mehemed Ali war nach orientalischen Begriffen kein Hochverräter,
und die brünstige Verehrung, welche er mitten im Kriege dem Sultan
bezeigte, doch nicht ganz erheuchelt; an die Entthronung des Hauses Os-
mans konnte und durfte er nicht denken. Wenn es dem kühnsten und
schlauesten Staatsmanne der orientalischen Welt gelang, seinem Hause
das erbliche Großwesirat neben dem Kalifengeschlechte zu erwerben, dann
blieb immerhin denkbar, daß der türkische Staat sich von innen heraus
noch einmal verjüngte wie einst das Frankenreich unter der Herrschaft der
karolingischen Hausmeier. Der Befreier der heiligen Stätten von Mekka
durfte auf die begeisterte Hingebung aller gläubigen Moslemin zählen,
und sein napoleonisches Regiment in Agypten zeigte, wie meisterhaft er
verstand, die Herrscherkünste Europas dem Leben des Morgenlandes an-
zupassen.
Aber jene Zerfahrenheit der öffentlichen Meinung Europas, welche
dem osmanischen Reiche so oft schon das Dasein gefristet hatte, gereichte