Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

330 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
Glücklicher verliefen dem Zaren die zehn Tage seines Aufenthalts 
auf dem alten Wallensteinschlosse im Isertale. Kaiser Franz freilich 
erschien kläglicher denn je: nach einer soeben überstandenen Krankheit war 
er sichtlich gealtert und sein Gespräch zum Verzweifeln geistlos. Mit 
Metternich aber fand sich Nikolaus rasch zusammen; er überhäufte ihn mit 
Gnaden und sagte ihm gleich bei der Begrüßung mit seinem gewohnten 
theatralischen Pathos: „Ich komme, um mich unter die Befehle meines 
Chefs zu stellen.“ Der Eitelkeit des Osterreichers war sogar diese Schmei- 
chelei nicht zu plump; Metternich glaubte wirklich selber zu herrschen, 
derweil die Zügel des Kaiserbundes unvermerkt in Rußlands Hände hin- 
überglitten. Schon das gesellige Leben in Münchengrätz ließ erraten, 
wie der Schwerpunkt der Allianz sich seit den Laibacher Zeiten verschoben 
hatte. Die blendende Erscheinung des Zaren verdunkelte alle anderen. 
Um ihn drängte sich huldigend der hohe Adel, allen voran Herzog Wilhelm 
von Nassau, der ärgste Reaktionär des deutschen Fürstenstandes und darum 
Nikolaus' erklärter Liebling; auf ihn allein waren die Blicke aller der ge- 
heimen Agenten gerichtet, welche sich von nah und fern in den Städten 
und Bädern Böhmens eingefunden hatten. Ihm zu Ehren wurden glän- 
zende Paraden veranstaltet, und den Diplomaten der alten Schule, die 
das Heer eigentlich nicht für ganz hoffähig ansahen, kam es hart an, wenn 
sie beständig von den Reiterkunststücken des ungarischen Husarenregiments, 
das Kaiser Franz seinem Gaste verlieh, sich erzählen lassen, beständig mit 
Entzücken beteuern mußten, wie herrlich die neue Uniform den schönsten 
Mann Europas kleide. 
Unterdessen bewies auch der Verlauf der diplomatischen Arbeiten, daß 
in den Machtkämpfen der Politik der stärkere Wille dem feineren Kopfe 
immer überlegen ist. Der Zar erlangte von Metternich alles, was er 
wollte. Er erreichte zunächst, daß die beiden Mächte durch einen geheimen 
Vertrag sich verpflichteten (18. Sept.), den Bestand des osmanischen 
Reichs unter seinem gegenwärtigen Herrscherhause zu erhalten, dem Pascha 
von Agypten keinen Übergriff in die europäischen Provinzen des Sultans 
zu gestatten, und immer in Eintracht, nach gemeinsamem Plane zu handeln, 
falls die Türkei gleichwohl zusammenbrechen sollte. Metternich frohlockte; 
war es denn nicht ein wunderbarer Triumph seiner Weisheit, daß Ruß- 
land jetzt die alten Anschläge auf Konstantinopel feierlich aufgab, während 
der argwöhnische Palmerston schon fürchtete, die Kaisermächte würden sich 
in Münchengrätz über die Teilung der Türkei verständigen? In Wahr- 
heit hatte Nikolaus' Vertrauter Graf Alexis Orlow, der Urheber des Ver- 
trages von Hunkiar Iskelessi, den Osterreicher nochmals mit vollendeter 
Kunst überlistet; wenn die Türkei unter dem vorkommenden Hause Osmans 
fortbestand, wenn dem einzigen Manne, der ihr vielleicht noch aufhelfen 
konnte, dem Agypter, ein Riegel vorgeschoben wurde, so war Rußlands 
Schirmherrschaft am Bosporus für einige Jahre gesichert und damit
	        
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