Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die Verträge von Münchengrätz. 331 
alles erreicht, was man in Petersburg vorläufig wünschen konnte. In 
der orientalischen Politik immer zurückhaltend, trat der Berliner Hof 
diesem Vertrage nicht förmlich bei, doch er billigte ihn lebhaft; denn An— 
cillon ahnte so wenig wie Metternich, was die neue Freundschaft zwischen 
dem Zaren und dem Sultan bezweckte. Als die Westmächte, jetzt endlich 
über die Sachlage aufgeklärt, sich in Petersburg über den Vertrag von 
Hunkiar Iskelessi beschwerten, da wurden sie hochmütig abgewiesen, und 
der preußische Minister freute sich von Herzen „dieser zugleich siegreichen 
und würdevollen Antwort: die beiden Mächte“, meinte er, „haben wohl eine 
Lektion verdient, da sie sich in Dinge mischen, die sie nichts angehen“.) 
In bestem Glauben, wie Metternich, versicherte er den Westmächten, daß 
Rußland völlig uneigennützige Gesinnungen hege und nicht beabsichtige, 
den Vertrag von Hunkiar Iskelessi auszuführen; zugleich erging er sich 
in weihevollen Betrachtungen über die Gebrechlichkeit des armen Groß- 
türken, dem er damals zuerst den Namen des „kranken Mannes“ gab. 
Als einen Erfolg durfte Rußland auch einen Vertrag über Polen 
betrachten, der in Münchengrätz von Osterreich, bald nachher (16. Okt.) 
von Preußen unterzeichnet wurde. Während des polnischen Aufstandes 
hatte Nikolaus einmal daran gedacht, die treulosen Lande westlich der 
Weichsel als unwürdig der russischen Herrschaft seinen Verbündeten ab- 
zutreten. Jetzt war von solchen Aufwallungen keine Rede mehr. Der 
Zar wollte behaupten, was er besaß, und Metternich untersagte gehorsam 
die geheimen Begünstigungen, welche Erzherzog Ferdinand von Cste in 
Galizien den vornehmen polnischen Flüchtlingen bisher gewährt hatte.) 
Rußland erlangte, daß die drei Mächte einander ihren polnischen Besitz 
nochmals verbürgten und sich gegenseitig Hilfe im Falle von Aufständen, 
auch die Auslieferung der wegen Hochverrats verfolgten Polen und die 
Überwachung der Teilnahme an dem letzten Aufruhr versprachen. Wie 
die Dinge lagen, ließ sich der Vertrag für einige Jahre mindestens durch 
die Not entschuldigen, da die Teilungsmächte alle drei durch die Um- 
triebe der polnischen Verschwörer bedroht waren. Auf die Dauer mußte 
dies Abkommen doch nur den Moskowitern Gewinn bringen; denn im 
Völkerverkehre ist der rohere Staat fast immer im Vorteil, zwischen 
Staaten von ganz verschiedener Gesittung kann die Gegenseitigkeit der 
Rechte und Pflichten, die Vorbedingung alles Völkerrechts selten bestehen. 
Daß ein preußischer Hochverräter in Rußlands freier Luft Zuflucht ge- 
sucht hätte, war bisher noch niemals vorgekommen; die Last der Aus- 
lieferungspflicht ruhte mithin allein auf den Schultern der deutschen 
Mächte, und beide erschienen vor der Welt wie dienstfertige Gehilfen 
Rußlands. 
  
*) Ancillon, Weisung an Schöler, 27. Nov. 1833. 
*“) Maltzahns Bericht, 28. Apr. 1833.
	        
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