Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

332 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
Höher als das alles galt dem Zaren das Vorgehen der Ostmächte 
gegen das Bürgerkönigtum, und auch diesen Herzenswunsch wollte ihm 
Metternich gern erfüllen. Kaiser Franz zeigte sich über das Unwesen der 
Pariser Propaganda um so mehr aufgebracht, da Ludwig Philipp eben 
jetzt sich erdreistet hatte, die Hilfe Metternichs gegen die zahlreichen Legi- 
timisten anzurufen, die sich in Österreich in der Nähe des vertriebenen 
Königs Karl aufhielten. Daß die Unzufriedenen aller Länder auf die 
stille Unterstützung der Westmächte rechnen konnten, war ein öffentliches 
Geheimnis; zahlreiche Demagogen bereisten das Festland unter falschen 
Namen, mit englischen Pässen; mehrere der Diplomaten aus Palmerstons 
Schule, vornehmlich der hitzköpfige Lord Minto, versammelten an den kleinen 
Höfen die Oppositionsparteien um sich. Wenn die Ostmächte solchen 
Friedensstörungen, zunächst durch eine gemeinsame Beschwerde in Paris, 
offen entgegentreten wollten, so taten sie nur, was ihnen zustand, und 
Frankreich selbst konnte ihre Berechtigung nicht bestreiten. Aber wie ließ 
sich mit dieser Beschwerde die schon in Schwedt besprochene Erklärung gegen 
die Nichteinmischungslehre des Julikönigtums angemessen verbinden? 
Nikolaus vergaß oder wollte vergessen, daß er seinem Schwiegervater von 
einem förmlichen Vertrage kein Wort gesagt hatte. Hier unter den Öster- 
reichern fühlte er sich freier und verlangte ein feierliches Manifest, das, 
ähnlich wie einst das Troppauer Rundschreiben, der Welt die Heilslehre 
des Einmischungsrechts verkünden sollte. Was kümmerte es ihn in seiner 
blinden Leidenschaft, daß die Welt sich seit dem Troppauer Kongreß von 
Grund aus verwandelt hatte, und man nicht mehr dem schwachen Neapel, 
sondern der fanatischen Kriegsbegierde der Radikalen Frankreichs gegen- 
überstand? Metternich aber ging auf den törichten Vorschlag ein; die 
Furcht vor der italienischen Revolution und der glühende Wunsch, den 
Zaren ganz für sich zu gewinnen, ließen ihn der gewohnten Vorsicht völlig 
vergessen. „Der Zustand Europas ist unerträglich, man muß ein Ende 
machen,“ so sagte er zu den Russen, obgleich er den Krieg im Ernst 
nicht wünschte. 
Nun ward ein förmlicher Vertrag verabredet: die drei Mächte be- 
kennen sich ausdrücklich zu dem Rechtsgrundsatze der Einmischung und 
sind „bereit, jederzeit ihre vereinte Macht aufzubieten, um die rechtmäßige 
Intervention zu unterstützen“. Diesen Vertrag wollte man sodann ge- 
meinsam dem französischen Hofe vorlegen und zugleich in einer kurzen, 
herrischen Erklärung den Wunsch aussprechen, „daß alle anderen Regie- 
rungen fortfahren würden, diese Grundsätze zur Richtschnur ihres Hand- 
delns zu nehmen“. Unmittelbaren Vorteil für sein Rußland konnte 
Nikolaus von einem solchen Abkommen nicht erwarten; er wußte, daß die 
Türkei damals noch nicht zu dem Gebiete des europäischen Völkerrechts 
gerechnet wurde, und seine Verbündeten mithin auch nicht beabsichtigten, 
ihre Einmischungslehre etwa zu Rußlands Gunsten im Oriente anzuwen-
	        
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