Erklärungen der Ostmächte in Paris. 335
geheim bleiben konnte, den Streit verschärfen, den französischen Hof reizen.
Als der österreichische Geschäftsträger von Hügel am 30. Oktober den Herzog
von Broglie aufsuchte, um ihm die in Berlin verabredete Mitteilung zu
machen, fand er den Minister schon vorbereitet und überaus zurück—
haltend; der Franzose erklärte trocken, in der Schweiz und in Belgien
könne sein König eine Intervention nicht dulden — was sich im Grunde
von selbst verstand, da beide Länder als neutral anerkannt waren. Am
folgenden Tage ward aber Ministerrat gehalten, und Ludwig Philipp
entschied, daß man den Bogen nicht überspannen dürfe. Pozzo di Borgo
und Werther wurden daher am 1. November ungleich besser empfangen,
der Preuße sogar mit freundschaftlicher Wärme; Broglie versprach dem
Unwesen der Flüchtlingsvereine nach Kräften zu steuern und erhob auch
gegen die Einmischungslehre der Verbündeten nur wenige Einwendungen.“)
Also schien das große diplomatische Zugstück mit einem Schwall
nichtssagender Redensarten zu enden. Doch leider folgte noch ein häß-
liches Nachspiel. Broglie konnte sich's nicht versagen, in einem Rund-
schreiben an die Gesandtschaften die drei Unterredungen mit doktrinärer
Selbstgefälligkeit zu schildern. Schon die hochmütige Sprache dieses
Schriftstückes mußte verletzen. Denn jedes Volk hat seine eigenen Fehler,
die ihm natürlich zu Gesichte stehen; bei den Germanen kann sich der
Doktrinarismus mit harmloser Gutmütigkeit paaren, bei den Romanen
entartet er stets zu unleidlichem Tugendstolze. Schlimmer war, daß der
tugendhafte Franzose selbst Unwahrheiten nicht verschmähte. Er behauptete,
gesagt zu haben, daß Frankreich auch in Piemont eine Einmischung nicht
dulden werde. Die drei Gesandten stellten dies übereinstimmend in Ab-
rede; und nun begann ein lang anhaltender, widerwärtiger persönlicher
Zank; sogar der sanftmütige Ancillon beschuldigte den Franzosen der
Zweizüngigkeit und Charakterschwäche.“) Das Ende war, daß West und
Ost einander noch lange höchst gereizt gegenüberstanden. Die Staats-
männer der Tuilerien redeten wieder viel von dem natürlichen Bunde
mit den kleinen Staaten der Nachbarschaft und wollten nicht begreifen,
warum weder die deutschen Fürsten noch der strenge Legitimist Karl Albert
von Piemont sich nach Frankreichs Schirmherrschaft sehnten. Auch Palmer-
ston fühlte sich beleidigt; er nannte das Auftreten der drei Mächte eine
Schilderhebung gegen die Verfassungsstaaten und erlaubte sich in seinen
geheimen Depeschen grobe Ungezogenheiten, die, bald verraten, neuen
Unmut erregten. In Wien und Petersburg aber begann man nach
einiger Zeit halb widerwillig einzusehen, daß Preußens Mäßigung die Welt
vor einer ernsten Gefahr bewahrt hatte. —
*) Pozzo di Borgos Berichte, 7 —42 ; Ancillon, Rundschreiben an die Gesandt-
schaften, 19. Nov. 1833.
**) Ancillon, Weisungen an Schöler, 8., 22. Dez. 1833.