Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

352 IV. 6. Der deutsche Zollverein. 
dieser war vor der Hand noch ein Entwurf, änderte nichts an den Leiden 
des Landes. Man schwankte lange; noch im Herbst 1830 widmete Geh. 
Rat Meisterlin, einer der Urheber des Eimbecker Vertrags, den Land- 
ständen eine Flugschrift, die den Eintritt in das preußische Zollsystem 
verwarf, weil Hessens Gewerbfleiß die Mitwerbung der überlegenen rhei- 
nischen Industrie nicht ertragen könne. Die alte Abneigung des Kur- 
fürsten gegen Preußen war nicht verflogen, auch schien ihm doch bedenk- 
lich, eine zwiefache Verpflichtung ohne weiteres zu brechen. Er wünschte 
— und mit ihm wohl die Mehrzahl im Lande — einen Mautverband 
des gesamten Deutschlands, der die Sonderbünde von selbst aufgehoben 
hätte. In diesem Sinne mußte Meyerfeld bei dem bayrischen Bundes- 
tagsgesandten Lerchenfeld vertraulich anfragen. Das Münchener Kabinett 
aber kannte jetzt die handelspolitischen Pläne wie die Verhandlungsweise des 
Berliner Hofes; daher gab Graf Armansperg an Lerchenfeld die verständige 
Weisung: diese Sache sei vorsichtig dahin zu lenken, daß sie in Berlin 
unter Preußens Leitung erledigt werde. ) Gleichwohl konnte der Kurfürst 
sich noch immer nicht entschließen, mit dem verhaßten Preußen und dem 
so gröblich beleidigten Darmstädter Vetter allein zu verhandeln. Noch im 
folgenden Frühjahre erhielt Meyerfeld den Auftrag, die Vereinigung sämt- 
licher deutschen Mautverbände beim Bundestag zu beantragen; da warnte 
ihn Nagler: niemals werde Preußen einer solchen Utopie zustimmen.) 
Unterdessen hatte Motz, ein Verwandter des preußischen Ministers, 
das hessische Finanzministerium übernommen. Die Anarchie im Zollwesen 
ward unhaltbar; die Kommissäre des Eimbecker Vereins, die in Hannover 
tagten, konnten sich nicht einigen. Motz und sein wackerer Amtsgenosse 
Schenk zu Schweinsberg bewogen endlich den Kurfürsten, daß er die Ge- 
heimräte Ries und Meisterlin im Juni nach Berlin schickte, um mit 
Preußen-Darmstadt und Bayern-Württemberg zugleich einen Zollverein 
zu schließen. Doch unerbittlich hielt Eichhorn den beiden Bevollmächtigten 
den alten preußischen Grundsatz entgegen: Verhandlungen mit mehreren 
Staaten zugleich sind aussichtslos. Vergeblich sträubte sich der Kurfürst; 
man mußte sich der Forderung des Berliner Hofes fügen, mit Preußen- 
Darmstadt allein verhandeln. In Maassens Auftrag führte L. Kühne 
die Unterhandlung. Der schlicht bürgerliche kleine Mann erwies sich jetzt 
schon, wie späterhin in allen Geschäften des Zollvereins, als meisterhafter 
Diplomat. Klar und bestimmt, mit überlegener Sachkenntnis und ehr- 
lichem Wohlwollen entwickelte er seine Vorschläge; wenn ihm aber das 
törichte Mißtrauen der Kleinen entgegentrat, dann funkelten seine kleinen 
scharfen Augen, und er fertigte alle Winkelzüge mit schneidenden Sarkas- 
men ab. Auf die Frage des Preußen, ob Kurhessen nicht noch durch die 
  
*) Armansperg, Weisung an Lerchenfeld, 29. Okt. 1830. 
**) Naglers Bericht, 24. April 1831.
	        
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