352 IV. 6. Der deutsche Zollverein.
dieser war vor der Hand noch ein Entwurf, änderte nichts an den Leiden
des Landes. Man schwankte lange; noch im Herbst 1830 widmete Geh.
Rat Meisterlin, einer der Urheber des Eimbecker Vertrags, den Land-
ständen eine Flugschrift, die den Eintritt in das preußische Zollsystem
verwarf, weil Hessens Gewerbfleiß die Mitwerbung der überlegenen rhei-
nischen Industrie nicht ertragen könne. Die alte Abneigung des Kur-
fürsten gegen Preußen war nicht verflogen, auch schien ihm doch bedenk-
lich, eine zwiefache Verpflichtung ohne weiteres zu brechen. Er wünschte
— und mit ihm wohl die Mehrzahl im Lande — einen Mautverband
des gesamten Deutschlands, der die Sonderbünde von selbst aufgehoben
hätte. In diesem Sinne mußte Meyerfeld bei dem bayrischen Bundes-
tagsgesandten Lerchenfeld vertraulich anfragen. Das Münchener Kabinett
aber kannte jetzt die handelspolitischen Pläne wie die Verhandlungsweise des
Berliner Hofes; daher gab Graf Armansperg an Lerchenfeld die verständige
Weisung: diese Sache sei vorsichtig dahin zu lenken, daß sie in Berlin
unter Preußens Leitung erledigt werde. ) Gleichwohl konnte der Kurfürst
sich noch immer nicht entschließen, mit dem verhaßten Preußen und dem
so gröblich beleidigten Darmstädter Vetter allein zu verhandeln. Noch im
folgenden Frühjahre erhielt Meyerfeld den Auftrag, die Vereinigung sämt-
licher deutschen Mautverbände beim Bundestag zu beantragen; da warnte
ihn Nagler: niemals werde Preußen einer solchen Utopie zustimmen.)
Unterdessen hatte Motz, ein Verwandter des preußischen Ministers,
das hessische Finanzministerium übernommen. Die Anarchie im Zollwesen
ward unhaltbar; die Kommissäre des Eimbecker Vereins, die in Hannover
tagten, konnten sich nicht einigen. Motz und sein wackerer Amtsgenosse
Schenk zu Schweinsberg bewogen endlich den Kurfürsten, daß er die Ge-
heimräte Ries und Meisterlin im Juni nach Berlin schickte, um mit
Preußen-Darmstadt und Bayern-Württemberg zugleich einen Zollverein
zu schließen. Doch unerbittlich hielt Eichhorn den beiden Bevollmächtigten
den alten preußischen Grundsatz entgegen: Verhandlungen mit mehreren
Staaten zugleich sind aussichtslos. Vergeblich sträubte sich der Kurfürst;
man mußte sich der Forderung des Berliner Hofes fügen, mit Preußen-
Darmstadt allein verhandeln. In Maassens Auftrag führte L. Kühne
die Unterhandlung. Der schlicht bürgerliche kleine Mann erwies sich jetzt
schon, wie späterhin in allen Geschäften des Zollvereins, als meisterhafter
Diplomat. Klar und bestimmt, mit überlegener Sachkenntnis und ehr-
lichem Wohlwollen entwickelte er seine Vorschläge; wenn ihm aber das
törichte Mißtrauen der Kleinen entgegentrat, dann funkelten seine kleinen
scharfen Augen, und er fertigte alle Winkelzüge mit schneidenden Sarkas-
men ab. Auf die Frage des Preußen, ob Kurhessen nicht noch durch die
*) Armansperg, Weisung an Lerchenfeld, 29. Okt. 1830.
**) Naglers Bericht, 24. April 1831.