Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

34 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. 
Der hatte bisher josephinischen Grundsätzen gehuldigt und die Regierung 
nur mit politischen Flugschriften bekämpft, aber bald einsehen müssen, 
daß sein letzter Zweck, die Unabhängigkeit Belgiens, nur mit Hilfe der 
Kirche erreicht werden konnte. Preßfreiheit, Schwurgerichte, Verantwort— 
lichkeit der Minister, freier Gebrauch der französischen Sprache, aber auch 
Freiheit des Unterrichts — das will sagen: Unterwerfung der Volksschule 
unter die Kirche — so lautete das Programm der Neuverbündeten. Ein 
Sturm von Petitionen rüttelte an den Toren der Generalstaaten. Als der 
König über den monströsen Bund der beiden Parteien und ihr infames 
Betragen schalt, verschworen sich die Heißsporne nach altem Geusenbrauche, 
treu bis zur Infamie bei ihrem Banner auszuharren. 
In solcher Gärung ward das Land von der Julirevolution über— 
rascht. Am 25. August erklangen die feurigen Aufruhrlieder der Stummen 
von Portici im Brüsseler Theater, in der nämlichen Nacht brach die Em— 
pörung aus, eine rohe, noch ziellose Pöbelbewegung; aber nicht lange, 
so flatterte auf dem gotischen Turme des Rathauses schon die dreifarbige 
Fahne von Brabant. Überall im Lande züngelte der Aufruhr empor; 
französische Agenten, Offiziere, Soldaten schlossen sich den Aufständischen 
an. Dem holländischen Heere fehlte die feste Leitung; der König selber 
begann zu fühlen, daß die Verwaltung der beiden Landeshälften getrennt 
werden mußte, und verhandelte darüber mit den Generalstaaten. Da 
wurden seine Truppen, vier Wochen nach dem ersten Aufruhr, durch 
einen dreitägigen wilden Straßenkampf von den Brüsselern gezwungen, 
die Hauptstadt zu räumen. Seitdem riß im Heere die Fahnenflucht ein, 
die Belgier verließen ihre Regimenter, hüben und drüben flammte der alte 
Stammeshaß furchtbar auf. Die Vermittlungsversuche des ehrgeizigen 
Prinzen von Oranien verfingen nicht mehr, und als am 27. Oktober 
die Holländer in der Antwerpener Zitadelle die Scheldestadt, zur Strafe 
für einen verräterischen Angriff, mit ihren Bomben einäscherten, da 
war die Trennung entschieden. Unter den Trümmern von Antwerpen 
ward das Vereinigte Königreich begraben. In den Regierungsausschüssen 
der Aufständischen saßen die Führer der beiden verbündeten Parteien, der 
ultramontane Fanatiker Felix von Merode so gut wie der geistreiche junge 
liberale Staatsmann van de Weyer. Doch wie wirr auch die Meinungen 
noch durcheinander fluteten, ein starkes Selbstgefühl war in beiden Par- 
teien lebendig. Im Rausche des Sieges entsann man sich wieder jener 
stolzen Tage, da die Rolandsglocke von Gent „Victorie in Vlaander- 
land“ geläutet hatte; der einst von Mirabeau ausgesprochene Gedanke eines 
selbständigen belgischen Staates gewann von Tag zu Tag neue Anhänger. 
Die zur Hilfe herbeigeeilten Franzosen und ihr Anhang erwarteten 
zuversichtlich den Anschluß Belgiens an das freie Frankreich. Die gesamte 
radikale Presse von Paris blies in dasselbe Horn, und der gefeierte Redner 
des Chauvinismus, General Lamarque, erklärte kurzab: das Gesetz des
	        
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