Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Preußens friedliche Haltung. 37 
überholt worden sei.“) Mittlerweile hatte die Revolution ihr Ziel erreicht, 
der neue Thron war aufgerichtet und die Gesandten schilderten in ihren 
Berichten das Geschehene übereinstimmend als eine unabwendbare Not— 
wendigkeit. Sie waren zumeist auch persönlich erbittert gegen Polignac, 
der über seinen Staatsstreichsplänen die Geschäfte des Auswärtigen Amts 
ganz vernachlässigt, nur mit Apponyi und dem Nuntius Lambruschini 
Umgang gepflogen hatte. Alle aber beugten sich vor der vollendeten Tat— 
sache; der ansteckenden Kraft jenes allgemeinen, urplötzlichen Gesinnungs— 
wechsels, welcher die Revolutionen in Frankreich so furchtbar macht, konnte 
sich niemand ganz entziehen. Alle Monarchisten, schrieb Werther schon 
am 5. August, wünschen dringend, daß die vier Mächte sich zu der neuen 
Krone freundlich stellen; sonst bricht die Republik, die Anarchie herein.) 
Über den großen Rechtsbruch tröstete man sich mit der Erwägung, 
daß die Orleans doch dem alten Capetingerhause angehörten und mithin 
— so lautete der neue Verlegenheitsausdruck — sich mindestens einer 
Quasi-Legitimität rühmen dürften; die Unterschlagung, welche dem neuen 
Herrscher zum Throne verhalf, ward in der stürmischen Unruhe dieser 
ersten Tage kaum bemerkt. Ludwig Philipp aber erging sich in brünsti- 
gen, unzweifelhaft aufrichtigen Beteuerungen seiner Liebe zum Frieden, 
zur bürgerlichen Ordnung: der Krieg, wiederholte er beständig, wäre die 
Republik, die Propaganda, der allgemeine Umsturz. Sein Minister des 
Auswärtigen, Graf Molé, schrieb an Werther: „Wir mußten Frankreich 
retten und, ich darf es hinzufügen, Europa vor einer großen Erschütterung 
bewahren. Inmitten des Kampfes wurde die dreifarbige Fahne aufge- 
zogen. Aber seit sie wieder das Banner Frankreichs geworden, entfaltet 
sich diese glorreiche Fahne nur noch als ein Sinnbild der Mäßigung 
und Verteidigung, der Erhaltung und des Friedens. Ihre Regierung 
wird anerkennen, welche Überwindung es S. Majestät gekostet hat, Sich 
zur Besteigung eines Thrones zu entschließen, der doch um des allgemeinen 
Wohles willen nur von Ihm eingenommen werden durfte.“***) Nach 
alledem ließ König Friedrich Wilhelm in Wien erklären, er sei „seinen 
Untertanen schuldig das peinliche Opfer seiner Grundsätze und Gefühle 
zu bringen“; indes hoffte er noch immer auf ein gemeinsames Vorgehen 
des Vierbundes und schlug daher den drei befreundeten Mächten vor, 
daß sie durch gleichlautende Erklärungen die neue französische Regierung 
anerkennen, aber zugleich von ihr die Aufrechterhaltung der Verträge, des 
Besitzstandes, des Friedens förmlich verlangen sollten. ) 
  
*) Werthers Bericht 17. August 1830 nebst Protokoll über die Beratung der 
vier Gesandten. 
*“) Werthers Bericht, 5. August 1830. 
*“) Molé an Werther, 12. August 1830. 
1) Brockhausens Berichte 11. 18. 23. August. Ancillon, Weisung an die 
Gesandtschaften 14. August 1830. :-
	        
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