Preußens friedliche Haltung. 37
überholt worden sei.“) Mittlerweile hatte die Revolution ihr Ziel erreicht,
der neue Thron war aufgerichtet und die Gesandten schilderten in ihren
Berichten das Geschehene übereinstimmend als eine unabwendbare Not—
wendigkeit. Sie waren zumeist auch persönlich erbittert gegen Polignac,
der über seinen Staatsstreichsplänen die Geschäfte des Auswärtigen Amts
ganz vernachlässigt, nur mit Apponyi und dem Nuntius Lambruschini
Umgang gepflogen hatte. Alle aber beugten sich vor der vollendeten Tat—
sache; der ansteckenden Kraft jenes allgemeinen, urplötzlichen Gesinnungs—
wechsels, welcher die Revolutionen in Frankreich so furchtbar macht, konnte
sich niemand ganz entziehen. Alle Monarchisten, schrieb Werther schon
am 5. August, wünschen dringend, daß die vier Mächte sich zu der neuen
Krone freundlich stellen; sonst bricht die Republik, die Anarchie herein.)
Über den großen Rechtsbruch tröstete man sich mit der Erwägung,
daß die Orleans doch dem alten Capetingerhause angehörten und mithin
— so lautete der neue Verlegenheitsausdruck — sich mindestens einer
Quasi-Legitimität rühmen dürften; die Unterschlagung, welche dem neuen
Herrscher zum Throne verhalf, ward in der stürmischen Unruhe dieser
ersten Tage kaum bemerkt. Ludwig Philipp aber erging sich in brünsti-
gen, unzweifelhaft aufrichtigen Beteuerungen seiner Liebe zum Frieden,
zur bürgerlichen Ordnung: der Krieg, wiederholte er beständig, wäre die
Republik, die Propaganda, der allgemeine Umsturz. Sein Minister des
Auswärtigen, Graf Molé, schrieb an Werther: „Wir mußten Frankreich
retten und, ich darf es hinzufügen, Europa vor einer großen Erschütterung
bewahren. Inmitten des Kampfes wurde die dreifarbige Fahne aufge-
zogen. Aber seit sie wieder das Banner Frankreichs geworden, entfaltet
sich diese glorreiche Fahne nur noch als ein Sinnbild der Mäßigung
und Verteidigung, der Erhaltung und des Friedens. Ihre Regierung
wird anerkennen, welche Überwindung es S. Majestät gekostet hat, Sich
zur Besteigung eines Thrones zu entschließen, der doch um des allgemeinen
Wohles willen nur von Ihm eingenommen werden durfte.“***) Nach
alledem ließ König Friedrich Wilhelm in Wien erklären, er sei „seinen
Untertanen schuldig das peinliche Opfer seiner Grundsätze und Gefühle
zu bringen“; indes hoffte er noch immer auf ein gemeinsames Vorgehen
des Vierbundes und schlug daher den drei befreundeten Mächten vor,
daß sie durch gleichlautende Erklärungen die neue französische Regierung
anerkennen, aber zugleich von ihr die Aufrechterhaltung der Verträge, des
Besitzstandes, des Friedens förmlich verlangen sollten. )
*) Werthers Bericht 17. August 1830 nebst Protokoll über die Beratung der
vier Gesandten.
*“) Werthers Bericht, 5. August 1830.
*“) Molé an Werther, 12. August 1830.
1) Brockhausens Berichte 11. 18. 23. August. Ancillon, Weisung an die
Gesandtschaften 14. August 1830. :-