444 IV. 7. Das Junge Deutschland.
Auch Chamisso gehörte noch zu dem alten Adel unserer Literatur,
der auf das lärmende Selbstlob des neuen Geschlechtes stolz herabsah.
Wenn der ernste Mann mit den tiefdunklen Augen und den langen weißen
Locken einsam durch die Straßen Berlins schritt, da betrachteten ihn die
jungen Literaten verwundert wie ein Gespenst aus einer längst versunkenen
Zeit, obwohl er doch eben erst das fünfzigste Jahr überschritten hatte und
jetzt erst, nach dem Erscheinen seiner gesammelten Gedichte, die Höhe seines
Künstlerruhms erreichte. Lebendig mit den Lebendigen, wie er immer ge—
wesen, besang er auch jetzt noch manche der politischen Umwälzungen der
Zeit und verkündigte seine Freude über den Sturz der bourbonischen Pfaffen-
herrschaft in feurigen Versen; doch zur Magd der Partei wollte er seine
freie Muse nicht entwürdigen. „Verklagt die Mitwelt bei der Nachwelt
nicht“ — so rief er warnend den schmähsüchtigen jungen Poeten zu. Wie
fühlte er sich heimisch in dem Hause seines Preußenlandes, das auf dem
Felsen der Liebe fest begründet stand; ehrwürdig war ihm der König,
„aus Gold der Treue schmiedend seine Krone“. Als er noch in der Kraft
der Mannesjahre starb (1839), hatte sein dankbares Herz nur die Emp-
findung, daß ihm das Leben alles geboten habe, was es an Liebe bieten
könne, und mit den Worten „ich liebe wohl geliebt zu sein“ nahm er
Abschied von dieser schönen Welt.
Wie anders endete Platen (1835). Er starb, nach seiner Ahnung,
„wie Ulrich Hutten, verlassen und allein“, in einem jener üppigen Blumen-
gärten, die da und dort auf der meerumrauschten öden Trümmerstätte
des alten Syrakus in den verlassenen Steinbrüchen tief eingebettet liegen.
Aber nur traurig, nicht tragisch war sein Ausgang. Nicht das treulose
Schlachtenglück hatte ihn, wie jenen Kriegshelden des Schwertes und der
Feder, aus der Heimat hinweggeschleudert. Nur der unfruchtbare Miß-
mut seines stolzen Herzens trieb ihn unstet im fernen Süden umher,
und doch wollte das Land „des Antichrists“, des Papstes dem strengen
Protestanten nie recht vertraut werden. Das Tagewerk seines Lebens war
getan, obwohl er sich noch mit dem kühnen Plane eines Hohenstaufen-
Epos trug. Seine dichterische Kraft begann zu versiegen; in seinen letz-
ten Hymnen, die er selbst für seine besten Werke hielt, ward die vollendete
Kunst des Versbaus schon zur Künstelei.
Unterdessen trat Eduard Mörike als Lyriker auf, der begabteste aus
dem Nachwuchs der schwäbischen Dichterschule, ein naiver Geist, der in
diesen Tagen der Überbildung und des Streites wie ein Wunderkind er-
schien — recht eigentlich ein zeitloser Dichter, in allem das Widerspiel
des Jungen Deutschlands. Er war ganz Naturz in der poetischen Stim-
mung und Anschauung ging er völlig auf, Leidenschaft und Gefühlsselig-
keit lagen ihm ebenso fern wie Rhetorik und Tendenz. Schon als Stu-
dent floh er das laute Treiben der Welt und lauschte im Walde in dunk-
ler Brunnenstube dem Murmeln der jungen Quelle oder er versammelte