Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Mörike. Anastasius Grün. 445 
einen Orden vertrauter Genossen in einem stillen Weinberghäuschen auf 
dem Österberge und erzählte wundersame Mären von Orplid, der ver— 
lassenen Stadt der Götter. Dann lebte er als Pfarrer in einem Dorfe 
des Unterlandes, wo Schillers Mutter auf dem Kirchhofe begraben lag, 
mitten in den Rebgärten des Neckartals, so recht in der Heimat schwä— 
bischer Sage und Sangeslust; und wenn er dort über seinen geliebten 
Alten saß oder träumend im Walde wanderte und die Vögel aus ihren 
Kehlen „richtige Gold- und Silberfäden zogen“, dann fühlte er — nicht 
oft, aber immer mit der ganzen Macht unmittelbarer Eingebung — wie 
der Genius in ihm jauchzte, dann wußte er, was es heiße „Gott selbst zu 
eigen haben auf der Erde“. Ihm selber galt der Spruch, den er einst 
auf eine vergessene kunstvolle Marmorlampe schrieb: 
Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst. 
Jedem seiner Leser blieb als letzter Eindruck das Gefühl, wie glücklich 
der Mann war, der also dichten konnte. In die Welt der Geschichte wagte 
er sich nicht hinaus, selbst politische Gespräche waren ihm unheimlich. Nur 
den einfachsten Empfindungen des Menschenherzens galten seine Lieder 
und Balladen, Idyllen und Sprüche; aber wie neu und eigentümlich er- 
klangen aus seinem Munde die tausendmal besungenen Geschichten vom 
verlassenen Mägdelein, von dem Knaben, der schön Rohtrauts Mund ge- 
küßt, von den entschwundenen Freuden der Rosenzeit. Er gebot über die 
sangbaren Weisen des deutschen Volksliedes und vermochte doch, wie die 
Idyllendichter der Hellenen, mit epischer Ruhe fest umrissene Gestalten zu 
zeichnen. Die geheimnisvoll lockende Sprache der Elemente war ihm so 
vertraut wie nur dem jungen Goethe, dem Dichter des „Fischers“, und 
fast ebenso vertraut die unendliche Sehnsucht der alles hoffenden Jugend: 
Der Adler strebt hinaus ins Grenzenlose, 
Sein Auge trinkt sich voll von sprüh'ndem Golde; 
Er ist der Tor nicht, daß er fragen sollte, 
Ob sich sein Haupt nicht an die Wölbung stoße. 
Durch die Wärme der Stimmung, die Ursprünglichkeit des Ausdrucks, 
durch die heitere Freiheit seines schalkhaften Humors übertraf er zuweilen 
selbst Uhland. Als Künstler blieb er hinter dem Alten zurück, denn seine 
Muse war ein Kind der Stunde; den Stoff zu runden und wirksam ab- 
zuschließen, gelang ihr nicht immer. Darum konnten doch nur einzelne 
seiner Lieder weit ins Volk hinaus dringen; die sinnige Schönheit seiner 
Dichtung war zu still, zu eigenartig, um von der Masse, die immer zuerst 
nach stofflichem Reize begehrt, verstanden zu werden, sie blieb immer nur 
der Liebling eines andächtigen Kreises feinfühlender Kenner. 
Ungleich stärkeren Widerhall erweckten die Spaziergänge eines Wiener 
Poeten, die ein Sohn des österreichischen hohen Adels, der junge Graf 
A. A. Auersperg im Jahre nach der Juli-Revolution erscheinen ließ. Seit 
den Befreiungskriegen und dem Wartburgsfeste hatte sich unsere politische
	        
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