454 IV. 7. Das Junge Deutschland.
gearbeiteten brauchbaren Bühnenstücke waren wärmer empfunden als Rau-
pachs Werke, ganz deutsch gedacht, niemals unwahr oder unnatürlich,
freilich auch so harmlos, daß Schiller wohl wieder hätte fragen können:
Warum entfliehet ihr euch, wenn ihr euch selber nur sucht? —
Sogar die Oper empfand den wachsenden Einfluß Frankreichs. Der
erste Dramatiker unter den Tonsetzern, der Berliner Giacomo Meyerbeer
war nach Paris gezogen und betrieb von dort aus seine internationale
Kunsttätigkeit, immer in Fühlung mit den Stimmungen der Franzosen.
Sein Robert der Teufel, der die lange Reihe seiner europäischen Triumphe
eröffnete, war der Neuromantik Viktor Hugos nahe verwandt, und als
nachher die kirchlichen Gegensätze sich verschärften, griff er zu dem wirk-
samen Stoffe der Hugenotten. Durch prächtige theatralische Effekte und
reizende Melodien riß er die Massen widerstandslos mit sich fort; alle
möglichen Formen und Stile mischte er durcheinander, wenn sie nur die
Nerven aufregten. Von der schlichten Großheit deutscher Kunst war nichts
in ihm.
Da seine Manier allen schlechten und einigen guten Neigungen der
Zeit entsprach, so hätte sie wohl auch in Deutschland die Alleinherrschaft
erlangt, wenn ihr nicht ein überlegener Geist entgegengetreten wäre. Wie
Meyerbeer war auch Felix Mendelssohn in den verwöhnten Kreisen des
Berliner Reichtums aufgewachsen, aber seine reine, liebenswürdige Natur
nahm nur die guten und tüchtigen Züge des Berliner Wesens an: die viel-
seitige Bildung, den freien Blick, die gesellschaftliche Gewandtheit und die
Gabe der beredten Mitteilung. Ein Deutscher vom Wirbel bis zur Zehe,
konnte er sich selbst in dem Zauber der südlichen Landschaft nicht auf die
Dauer wohl fühlen, und von allen Ausländern haben ihn nur die ger-
manischen Engländer, niemals die Franzosen ganz verstanden. Er er-
weckte durch seinen Paulus das Oratorium der Protestanten zu neuem
Leben und gab dem deutschen Liede einen tiefen, weihevollen musikalischen
Ausdruck. Fast ebenso folgenreich wie diese Kompositionen, die ihn weit
über alle lebenden Tonsetzer emporhoben, wurde seine Tätigkeit in den
Konzertsälen. Als zwanzigjähriger Jüngling wagte er zuerst (1829) in
Berlin Sebastian Bachs vergessene Passion aufzuführen, und seitdem be-
mühte er sich unablässig, die edlen echt deutschen Kunstformen der Sym-
phonie, des Oratoriums, der Sonate, den Gebildeten wieder ans Herz
zu legen. Die Werke Bachs und Händels, auch Beethovens letzte Sym-
phonien, die lange für ungenießbar gegolten hatten, erschloß er dem Ver-
ständnis der Nation. Seit er, überall in Deutschland gekannt und geliebt,
zu Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Leipzig seinen Taktstock schwang, wurdedie
fast zum Zeitvertreibe herabgesunkene Musik wieder als hohe Kunst geehrt.
Ihm dankten die Deutschen, daß sich in der Hörerschaft immer noch ein
Kern reinen Geschmackes erhielt, auch als die Anarchie in der Oper einriß.
So führte ein Deutscher jüdischer Abstammung unsere gebildete Gesell-