Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

510 IV. 8. Stille Jahre. 
nur auf die Bundesgenossenschaft eines carlistischen Spaniens zählen 
konnten. In Berlin sprach sich der Kronprinz besonders lebhaft für Don 
Carlos aus; sein Vertrauter Oberst Radowitz verteidigte das legitime 
spanische Thronfolgerecht in einer Flugschrift. Da Palmerston überdies 
den spanischen Krieg von vornherein als einen Kampf der Revolution gegen 
das Fürstenrecht anpries, so blieb den drei Mächten kaum eine Wahl. 
Sie riefen ihre Gesandten aus Madrid ab — zum schweren Schaden für 
die armen Weber des Riesengebirges, die in Spanien ein wichtiges Absatz- 
gebiet verloren; sie verboten dem Könige von Belgien, Werbungen für die 
Cristinos zuzulassen; jedoch eine förmliche Anerkennung Karls V. wagten sie 
nicht auszusprechen, weil sie als Landmächte nicht ohne Frankreichs Bei- 
hilfe eine Einmischung versuchen konnten. Auf eine völlige Umkehr Ludwig 
Philipps hoffte man am Berliner Hofe nicht; man kannte seine bedrängte 
Lage und wußte, „daß er die nationale Eitelkeit in dem Glauben erhalten 
müsse, als ob Frankreich eine Art friedlicher Diktatur ausübe.“/#F) Um so 
mehr erwartete man von den Waffenerfolgen der Carlisten; denn Don 
Carlos' Agenten, die an allen deutschen Höfen ihr Wesen trieben, hatten 
dort überall die Meinung erweckt, daß der legitime König auf die unge- 
heure Mehrheit der Nation rechnen dürfe. Nach jedem Siege der Basken 
beriet man insgeheim, ob man nicht jetzt den König Karl anerkennen 
solle, um schließlich immer wieder zu beschließen, daß man erst seinen Ein- 
zug in Madrid abwarten müsse. So lief denn alles hinaus auf einen 
unfruchtbaren Depeschenwechsel. Als die englische Regierung sich einmal 
unterstand, dem Berliner Hofe die Legitimität der Königin Isabella zu 
erweisen, wurde sie durch ein gründliches Gutachten des Berliner Aus- 
wärtigen Amts siegreich widerlegt.7) Ancillon fühlte sich bei diesen Wort- 
gefechten wie der Fisch im Wasser. Unaufhaltsam predigte er dem Tuilerien= 
hofe in lehrhaften Noten seine Weisheit; er scheute die stärksten Ausdrücke 
nicht, aber „den Ton des Popilius“ — so gestand er selbst — wollte er 
auf keinen Fall anschlagen.) 
Keiner unter den drei verbündeten Monarchen zeigte sich gegen Don 
Carlos so kühl wie Zar Nikolaus. Sein Haß galt noch immer „dem 
Straßenkönig und dem Blusenkönig“, wie er die beiden Gewalthaber in 
Paris und Brüssel zu nennen liebte; nach wie vor hoffte er auf einen 
Weltkrieg, der alle Schöpfungen der Juli-Revolution mit Stumpf und Stiel 
vertilgen sollte. Neben diesen großen Entwürfen erschien ihm die spanische 
Bewegung kaum der Beachtung wert. „Für Don Carlos habe ich nur 
Eisen, aber kein Gold,“ sagte er hochmütig.#) Als echter Sohn des 
*7) Ancillon an Brockhausen, 14. Juli 1834. 
*) Memorandum on Spain, begutachtet durch Frhr. v. Miltitz, 19. März 1839. 
##) Ancillon an Brockhausen, 23. April 1835. 
f) An diese allen Höfen wohlbekannte Außerung des Zaren erinnert Maltzan 
in seinem Berichte vom 14. Jan. 1837. 
 
	        
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