Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

554 IV. 8. Stille Jahre. 
doch gar zu schlaff und nachsichtig verfuhr. Da Ingerslebens Nachfolger, 
der kränkliche OberpräsidentPestel sein Amt nicht ausfüllte, sowurde Ernst von 
Bodelschwingh (1834) an seine Stelle berufen, ein ausgezeichneter, noch 
kaum vierzig Jahre alter Beamter von gemäßigt konservativen Grundsätzen, 
der frühe schon die Aufmerksamkeit Steins erregt hatte und durch seine 
ungekünstelte Einfachheit, durch Ernst, Wohlwollen, Umsicht, hinreißende Be- 
redsamkeit den Rheinländern bald so wohl gefiel, daß sie ihm sogar seine 
westfälische Abstammung und seine strenge evangelische Gläubigkeit fast 
verziehen.“) Auch an die Spitze der Regierungen wurden jüngere rüstige 
Männer gestellt: nach Düsseldorf kam Graf Anton Stolberg, der Freund 
des Kronprinzen, nach Aachen späterhin Cuny. Die Provinzialstände zeigten 
sich trotzdem unwirsch, mißtrauisch gegen alles, was aus dem Osten kam. 
Auf dem Landtage von 1833 wurde zwar das Verlangen nach Reichsständen 
„mit Entrüstung“ abgewiesen, weil man bei Lebzeiten des alten Königs doch 
keinen Erfolg erwartete; dem königlichen Kommissär, dem Grafen Stolberg, 
gelang es auch durch vertrauliches Zureden, einige geplante Anträge auf 
Preßfreiheit, Offentlichkeit der Landtage, Einführung einer Nationalgarde 
still zu beseitigen.) Als er aber den Entwurf einer Landgemeindeordnung 
vorlegte — ein wohlgemeintes Gesetz, das die Herrschaft der napoleonischen 
Maires endlich brechen, den rheinischen Dörfern die Selbstverwaltung 
bringen sollte — da stieß er auf unüberwindlichen Widerstand. Wir 
wollen keine Trennung von Stadt und Land, hieß es allgemein, auch die 
neufranzösischen Bürgermeistereien müssen bestehen bleiben. 
Die Hauptbeschwerden der Provinz richteten sich gegen den angeb- 
lichen Steuerdruck. Da fast kein Rheinländer sich herabließ, die alten 
Provinzen kennen zu lernen, so entstanden allmählich abenteuerliche Vor- 
stellungen über die Steuerfreiheit der Ritterhufen des Ostens, die in Wahr- 
heit sehr wenig bedeutete. Jeder Rheinländer glaubte, die reichste und 
leistungsfähigste Provinz sei zu Gunsten des Ostens überbürdet. Die Mei- 
nung war ganz ebenso grundlos wie das Geschrei der radikalen Neuen- 
burger über die preußischen Erpressungen. Aber sie bestand und sie er- 
hielt neue Nahrung durch das Buch David Hansemanns „Preußen und 
Frankreich“ (1833). Welch ein Mißgeschick, daß gerade dieser treue preu- 
ßische Patriot auf den Einfall kommen mußte, über unverstandene Ver- 
hältnisse mit der Sicherheit des Halbkenners zu schreiben, und also seine 
Landsleute in ihren gehässigen Vorurteilen noch bestärkte. Hansemann 
hatte mit großem Fleiße eine Menge statistischer Tabellen zusammen- 
getragen; was ihm dann noch an Kennnnissen fehlte, ersetzte er durch 
„Schätzungen“ und verfuhr dabei mit einer Leichtfertigkeit, die sich der 
kluge Kaufherr bei den Rechnungen seines eigenen Geschäftes sicherlich nie 
*) Bericht des Gesamtministeriums an den König, 25. Juni, mit Separatvotum 
des Kronprinzen vom 3. Juli 1833. 
**) Stolbergs Berichte an Lottum, 16. Nov., an den König, 2. Dez. 1833. 
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