Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

556 IV. 8. Stille Jahre. 
Abgeordneten nicht mehr in Zucht hielt. Wie sich späterhin herausstellte, 
zahlte Westfalen allerdings mehr Grundsteuer vom Reinertrage als die 
Rheinprovinz, aber nicht mehr als Sachsen und weniger als Schlesien. 
Gleichwohl behaupteten die Landstände beharrlich, die Provinz sei um ein 
volles Drittel zu hoch eingeschätzt. Der Zorn legte sich auch nicht, als 
endlich, 1839, nach vollendeter Katastrierung, das verständige Grundsteuer- 
gesetz für die westlichen Provinzen erschien; denn die Gesamtsamme der 
Grundsteuer blieb natürlich unverändert, da die Lage des Staatshaushalts 
jeden Steuererlaß verbot. Einig in der Opposition, hegten die beiden west- 
lichen Provinzen doch, nach alter Gewohnheit, grundverschiedene Gesinnungen. 
Während die Rheinländer, ihres modernen Codes froh, auf die reaktionären 
Ostländer herabschauten, beargwöhnte die konservative Mehrheit der West- 
falen das Berliner Kabinett wegen seiner jakobinischen Neigungen. Der 
Entwurf der Landgemeindeordnung wurde auch auf dem Münsterschen 
Landtage beanstandet, aber nur weil er den Westfalen zu liberal schien; 
sie fanden es unerhört, daß fortan alle Einwohner mit selbständigem Haus- 
halt das Stimmrecht erhalten sollten, und verlangten von jedem Gemeinde- 
bürger „einen angemessenen Grundbesitz". 
Die Gesinnungen des Adels bekundeten sich in einer Schrift „über 
die Grundlagen unserer Verfassung“, welche der Freiherr Werner von Haxt- 
hausen während des Landtags von 1833 unter den Abgeordneten verbreiten 
ließ. Haxthausen war einer der Stifter des Tugendbundes, hochbegeistert 
für Deutschlands Größe, edel, geistvoll, reichgebildet, mit Steffens und den 
Brüdern Grimm nahe befreundet, aber in Politik und Religion durchaus 
Romantiker. Er forderte die alten Landtage von Paderborn, Münster, 
Ravensberg zurück, er verdammte als strenger Katholik die Säkularisationen, 
er verwarf das gesamte moderne Staatsleben, sogar die neue Städteord- 
nung, und betrachtete das Beamtentum als eine Schmarotzerpflanze, die der 
kräftigen westfälischen Eiche den Saft aussauge. Wenn ein guter Preuße 
also redete, was ließ sich vollends von den vaterlandslosen Domherren- 
geschlechtern des Münsterlandes erwarten? Oder gar von der Klerisei, 
die hier noch dreister als am Rhein den „protestantischen“ Behörden ihre 
Geringschätzung zeigte? Es fehlte nur ein Funke, um einen gefährlichen 
Brand zu entzünden.) So schwer bestrafte sich die unnatürliche, durch 
die Provinzialstände verschärfte Trennung der Provinzen; den bürgerlichen 
und protestantischen Elementen, welche Westfalen in seinen Industrie- 
bezirken besaß, fehlte jede Gelegenheit, sich mit den verwandten Kräften 
des Ostens zu verständigen. — 
Den westlichen Provinzen begegnete die Regierung mit Schonung, in 
Posen aber ging, nach allem, was man an den Polen erlebt, selbst die 
  
*) Tzschoppe an Wittgenstein, 3. Sept. 1833, mit Stimmungsberichten aus Rhein- 
land und Westfalen.
	        
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