Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

560 IV. 8. Stille Jahre. 
Die Pfandbriefsanstalt war in Posen noch neu, in den alten Provinzen 
aber hatten schon Tausende ihr Vermögen in Pfandbriefen angelegt, und 
die Regierung mußte sich dort hüten, den ohnehin durch das Sinken der 
Getreidepreise schwer erschütterten Kredit der Großgrundbesitzer ganz zu 
zerstören. 
Mittlerweile erhielten auch die Juden, die damals noch gemeinhin 
mit den Deutschen gegen die Polen zusammenhielten, erweiterte Rechte: sie 
sollten Synagogen-Gemeinden bilden mit Korporationsrechten und der Ver- 
pflichtung, für die Jugenderziehung zu sorgen; zum Militärdienste wurden 
sie fortan zugelassen, wenn sie nicht vorzogen, das althergebrachte Rekruten- 
geld zu zahlen; wer sich in leidlich geordneten bürgerlichen Verhältnissen 
befand, konnte auch die förmliche Naturalisation, und damit den Zutritt 
zu den meisten Gemeindeämtern erlangen. So hoffte die Staatsgewalt 
den finsteren Haß gegen die Gojim, der auf der Lissaer Judenschule gepflegt 
wurde, allmählich zu überwinden; doch selbst diese vorsichtig beschränkte 
Reform schritt den Ansichten des Landes weit voraus und rief auf dem 
Landtage heftigen Widerspruch hervor. In den Dörfern wurden binnen 
zehn Jahren über zweihundert Volksschulen errichtet, die meisten mit pol- 
nischer Schulsprache und mangelhaftem deutschem Unterrichte — denn 
weiter wagte auch diese wegen ihrer Strenge verrufene Regierung noch 
nicht zu gehen —, dazu zwei neue Gymnasien mit geistlichen Alumnaten, 
ein katholisches Predigerseminar und eine Reihe evangelischer Pfarreien. 
Bei seinem Amtsantritt fand Flottwell vier Meilen Chausseen vor; nach 
einem Jahrzehnt war das große Straßennetz, das die Stadt Posen mit 
Berlin, Altpreußen, Schlesien verband, nahezu vollendet. 
Noch niemals war dies Land so gerecht, so einsichtig, so sorgsam 
regiert worden; doch die Nachsicht, welche der König den Teilnehmern 
an dem polnischen Aufstande erwies, galt dem Adel für ein Zeichen der 
Schwäche.)) Die Begnadigten traten mit herausforderndem Trotze auf, 
dem Kröbener Kreise mußte die Krone wegen grober Gesetzwidrigkeiten 
das Wahlrecht für die Provinzialstände vorläufig entziehen, und auf dem 
Landtage von 1834 wurden wieder die alten maßlosen Beschwerden über 
die Vergewaltigung der polnischen Sprache vorgebracht. Drei Viertel der 
Ritterschaft stimmten dafür, von den Abgeordneten der Städte nur zwei, 
von den Bauern nur einer. Da verlangte der Adel die itio in partes, 
die nur zur Wahrung der ständischen Sonderrechte gestattet war; er 
brachte seine Klage eigenmächtig vor den Thron, obgleich die Mehrheit 
Einspruch erhob und feierlich erklärte, sie wolle „keine politische Absonde- 
rung“ von den übrigen Provinzen. Der König aber sprach der protestieren- 
den Mehrheit seine Billigung aus und erklärte kurzab, den gesetzwidrigen 
Antrag der Ritterschaft betrachte er als nicht vorhanden. 
  
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*) S. o. IV. 209.
	        
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