566 IV. 8. Stille Jahre.
Erbittert durch diese Härte schritten die Gottseligen bald zur Verletzung
des Gesetzes: sie ernannten eigenmächtig Repräsentanten, sie maßten sich
die Verwaltung des Kirchenvermögens an, ließen durch Unberechtigte geist—
liche Amtshandlungen verrichten. Umsonst versuchte Altenstein durch per—
sönliche Ermahnungen und ausgesendete Kommissäre die Aufgeregten zu
beschwichtigen — was er selbst für einen Beweis ungewöhnlicher Lang-
mut hielt. Umsonst versicherte eine Kabinettsordre vom 28. Febr. 1834:
zur Union werde niemand gezwungen, nur die Agende müsse als unver-
brüchliche Regel in der Landeskirche gelten. Eine solche Halbheit konnte
die Widerspenstigen nicht gewinnen; denn unleugbar war die Agende nur
der liturgische Ausdruck der Union, und zum Überfluß wiederholte der
König streng: „daß die Feinde der Union sich als eine besondere Reli-
gionsgesellschaft konstituierten“, dürfe als „unchristlich“ nicht geduldet wer-
den. Da die alten Rationalisten noch in den meisten hohen Kirchenämtern
saßen, so führten die Konsistorien von Stettin und Breslau einen unab-
lässigen Krieg gegen alles, was sie für sektiererisch hielten. Dort wurde dem
Freiherrn von Senfft-Pilsach untersagt, vor seiner Herde selbst zu predigen,
hier den Peylauern verboten, bei den Herrnhutern im nahen Gnadenfrei
das Abendmahl zu empfangen, da den Judenmissionaren durch einen un-
freundlichen Konsistorialerlaß die Arbeit erschwert. Den Pfarrer Hirschfeld
wollte das Breslauer Konsistorium absetzen, weil er zwar die Agende an-
nahm, aber die Formel „Vater Unser“ beibehielt. Da meinte der Kron-
prinz: „ihn deshalb aus seinem segensreich geführten Amte zu berstoßen,
wäre geradezu gräßlich;“ er verlangte, Altenstein solle die Sache „ein-
schlafen lassen“. Unablässig nahm er sich der Verfolgten an und sagte
dem Minister voraus, dies Zerren und Reizen werde den sektiererischen
Geist nur stärken.)
So kam es auch. Seines Breslauer Amtes entsetzt, eröffnete Scheibel
von Sachsen aus einen grimmigen Federkrieg, insbesondere gegen die
Schrift des Königs über die Agendez freilich stellte er sich an, als ob er
den Bischof Eylert für den Verfasser hielte. Er tobte so lange, bis die
Führer der Orthodoxen, Hengstenberg, Hahn, Olshausen sich förmlich gegen
den Separatismus erklärten; von den namhaften Theologen schloß sich nur
einer, der Hallenser Guericke den Sektierern an, und auch er versöhnte
sich nach einigen Jahren wieder mit der Landeskirche. Die schlesischen Alt-
lutheraner aber hielten aus; sie beschlossen auf einer Synode zu Breslau
(1835), ihre Sonderkirche nimmer aufzugeben. Als ein unierter Geistlicher
statt des abgesetzten altlutherischen in der Pfarrei des schlesischen Dorfes
Hönigern eingeführt werden sollte, da rottete sich die gesamte Gemeinde,
die Frauen voran, schreiend und jammernd vor der verschlossenen Kirche
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*) Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenstein, 2. Mai 1830, 30. Dezember 1831,
26. Juni 1833.