Die Altlutheraner. 567
zusammen; Soldaten mußten die Türe sprengen und blieben dann noch
eine Weile auf Einquartierung. Bei allen diesen traurigen Vorgängen
handelte die Regierung streng nach dem Buchstaben des Gesetzes; aber
wie deutlich zeigten sie, daß die Kirchenpolitik des alten Territorialsystems
sich gänzlich überlebt hatte. Evangelische Freiheit war nur noch möglich,
wenn eine neue Kirchenverfassung das gute Rucht der Gemeinden sicher-
stellte.
Nach langem Streit und Leid entschloß sich endlich ein Teil der
Altlutheraner, insgesamt mehr als tausend Köpfe, zur Auswanderung.
Ihren Glauben und ihren Kultus tastete niemand an, nur das evan-
gelische Recht der Gemeindebildung ward ihnen versagt, und so wähnten
sie für die Religion zu leiden, während doch lediglich ein ungeheures Miß-
verständnis und ihr unduldsamer Haß gegen die Reformierten sie aus dem
Lande trieben. Welch ein Tag, als vierhundert dieser armen Schlesier
auf ihren Spreekähnen durch Berlin kamen und dann die Havel abwärts
am Potsdamer Stadtschlosse vor den Fenstern des Königs vorüberfuhren;
ihre lutherischen Lieder klangen weithin über das stille Gewässer. Schien
es nicht, als ob jene Zeiten des großen Kurfürsten wiederkehrten, da Paul
Gerhardt, auch er ein Märtyrer mehr der Unduldsamkeit als des Glau-
bens, die Mark hatte verlassen müssen? Was aber damals, in dem harten
Jahrhundert der Religionskriege, die Not erzwang, das hätte jetzt, in
weltlichen Tagen, eine kluge und weitherzige Kirchenpolitik leicht vermeiden
können. Welch ein Widerspruch! Friedrich Wilhelm fühlte sich als den
Beschützer des evangelischen Glaubens in Deutschland; so nannten ihn
auch der fromme G. H. Schubert und die anderen bayrischen Protestanten,
denen er bei allen ihren kirchlichen Unternehmungen gern zu Hilfe kam.“)
Er feierte in diesen Tagen tief bewegt den dreihundertjährigen Gedenktag
der brandenburgischen Reformation. Und doch ward unter dem frommen
Fürsten eine Verfolgung möglich, die aller evangelischen Freiheit widersprach.
Im Lande erzählte man, der gute König wisse nichts von dem
harten Verfahren seiner Beamten. Er wußte es wohl. Er verfolgte die
kirchlichen Wirren tief bekümmert, mit gespannter Aufmerksamkeit und ließ
sogar den Auswanderern insgeheim Unterstützung spenden; doch an seiner
Kirchenpolitik ward er keinen Augenblick irr. In diesem Jammer be-
drängter und beirrter Gewissen sah er nur eine strafbare Auflehnung gegen
das von Gott verordnete Kirchenregiment und fragte immer wieder ganz
verwundert: wie sind solche Verirrungen möglich in einem Lande unbe-
schränkter Gewissensfreiheit? Er ahnte nicht, wie die deutschen Nachbarn
über diese Verfolgungen dachten. Die Lutheraner in Sachsen, Mecklen-
burg, Bayern hatten bisher auf den schwächlichen Synkretismus der Union
*) Eingaben an König Friedrich Wilhelm: von der Münchner Evangelischen Ge-
meinde, 14. Jan. 1834; von G. H. Schubert, 10. Jan. 1836.