Deutsche Flüchtlinge in der Schweiz. 603
periode ist Harro Harring.“ Ihm verdanken die Flüchtlinge das vielge—
sungene Lied:
Dreiunddreißig, Vierunddreißig,
Seid auf euren Kopf bedacht,
Wenn das Volk einst grimm und beißig
Der Geduld ein Ende macht!
Das Treiben wurde so zuchtlos, daß der besonnene Karl Mathy, den
die Torheit der badischen Demagogenverfolger auch in die Schweiz ver—
schlagen hatte, sich bald ganz zurückzog. Mathy schrieb als Flüchtling eine
ruhig und sachlich gehaltene Preisschrift über die Aufhebung des Zehnten,
und pries sich glücklich, als er in einer Lehrerstelle bei Solothurn vor—
läufig eine friedliche Unterkunft fand.
Den vertriebenen Polen war mit den frechen Worten nicht genug
getan; sie brüteten über neuen Aufstandsplänen, und obgleich sie, be—
fangen in der phantastischen Selbsttäuschung der Flüchtlinge, ihre Macht
stark überschätzten, so vermochten ihre tollen Anschläge den Nachbarstaaten
doch ernste Ungelegenheiten zu bereiten. In diesem Jahrhundert der bürger—
lichen Kämpfe war der Bestand eines gastfreien Staates, der allen ge—
schlagenen Parteien ein Asyl bot, eine europäische Notwendigkeit. Wenn
die Schweiz ihre Neutralität gewissenhaft einhielt und den Flüchtlingen
jedes feindselige Unternehmen gegen die Nachbarn streng untersagte, so
konnte sie in der neuen Staatengesellschaft eine ebenso würdige Rolle
spielen wie einst die Republik der Niederlande im Zeitalter der Religions—
kriege. Allein für diese Ehrenpflicht der Eidgenossen zeigte die radikale
Partei, die in der Tagsatzung herrschte, keinen Sinn; vergeblich mahnten
Neuenburg und die anderen konservativen Kantone an die Wiener Ver—
träge. Im Jahre 1834 unternahmen einige hundert Flüchtlinge, ge—
führt von dem polnischen General Ramorino, einen Einbruch in Savoyen;
auch mehrere Deutsche waren mit im Haufen, so der allezeit wagelustige
Rauschenplatt und die Gebrüder Breidenstein. Die Empörung wurde rasch
niedergeworfen, aber ohne die Pflichtvergessenheit der schweizerischen Be—
hörden hätte sie gar nicht beginnen können. Währenddem kamen bedenk—
liche Nachrichten über verdächtige Bewegungen an der deutschen Grenze.
Bayern und Baden fürchteten einen Handstreich und trafen Vorsichts—
maßregeln; ihre Besorgnisse mochten übertrieben sein, grundlos waren sie
nicht.) Auf einer Versammlung der deutschen Arbeiter im Steinhölzli
bei Bern wurden die Fahnen der süddeutschen Staaten in den Kot ge-
stampft und das schwarzrotgoldene Banner feierlich emporgehoben, wäh-
rend die Menge sang:
Den Kopf, der frech sich aus dem Vokk erhebt,
Den trifft des Volkes Beil.
*7) Erlaß des bad. Ministers Winter an die Kreisregierungen, 28. April; Dönhoffs
Bericht, München, 3. April 1834.