Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Trennung von England und Hannover. 645 
gedrungenen Fremdherrschaft. Was in Pommern, in Preußen, in Schlesien 
nur unter schweren Opfern und Kämpfen erreicht war, das gelang in 
Hannover durch die Gunst des Zufalls, und alsbald zeigte sich, wie wenig 
die lange Verbindung mit dem Auslande den Kern des niedersächsischen 
Volkstums verändert hatte. Die starke englische Kolonie in der Stadt 
Hannover, einige britische Sitten und Familienverbindungen in der vor— 
nehmen Gesellschaft, dazu die kriegerischen Erinnerungen der Veteranen 
und ein hohes Maß von Selbstgenügsamkeit, das war in Wahrheit alles, 
was von dem ausländischen Wesen noch übrig blieb. Ohne Kummer gaben 
die Hannoveraner den Namen der deutschen Großbritannier auf, um fortan 
sich selbst und ihrem endlich sichtbaren Könige zu leben. 
Ein Glück nur, daß sie trotz ihrer britischen Neigungen selten eng— 
lische Zeitungen lasen und von dem schlimmen Rufe ihres neuen Herr— 
schers wenig wußten. Mit der einzigen Ausnahme des Selbstmords hat 
der Herzog von Cumberland schon jedes erdenkliche Verbrechen begangen 
— so schrieb um jene Zeit ein radikales englisches Blatt und sprach damit 
nur in pöbelhaften Formen aus, welchen furchtbaren Haß dieser unbelieb— 
teste aller englischen Prinzen im Verlaufe eines sechsundsechzigjährigen 
Lebens auf sich geladen hatte. König Ernst August war der begabteste 
unter den sieben Söhnen Georgs III., aber schlecht erzogen, nicht bloß 
aller Bildung bar, sondern ein abgesagter Feind der Wissenschaft, die er 
„dem Federvieh der Tintenkleckser“ überließ; nur wer wohl geboren, wohl 
gekleidet und mäßig gelehrt war, galt ihm, wie einst den Römern, für 
einen anständigen Mann. Auf der Göttinger Hochschule hatte er nicht 
einmal die deutsche Sprache gelernt, um so gründlicher die Reitkunst. Als 
er dann in den niederländischen Feldzügen ein hannöversches Dragoner- 
regiment befehligte, zeigte er sich sehr tapfer, aber auch so roh und grau- 
sam, daß Scharnhorst seinen Abscheu kaum bezwingen konnte. Wiederholt 
verbot er seinen Reitern, ihm die verfluchten französischen Republikaner 
gefangen einzubringen; alles wollte er niedersäbeln, in einem wilden Hand- 
gemenge verlor er selbst ein Auge. An den napoleonischen Kriegen be- 
teiligte er sich nicht, nur in den Tagen der Schlacht von Kulm erschien 
er für kurze Zeit im Hauptquartier der Verbündeten. Trotz dieser ge- 
ringen Kriegserfahrung betrieb er das Soldatenhandwerk mit leidenschaft- 
lichem Eifer, und unbeschreiblich war seine Freude, als König Friedrich 
Wilhelm ihn zum Chef der roten Zieten-Husaren ernannte. Neben dem 
steifen Dünkel des englischen Lords behielt er doch immer etwas von der 
naturwüchsigen Frische des deutschen Reiteroffiziers. 
Im Oberhause ward er rasch ein gefürchteter Führer der Hochtorys; 
bald drohend und lärmend, bald schlau belügend, bald leise hetzend, wußte 
er seine Leute bei der Stange zu halten. Nur die hartreaktionären Grund- 
sätze Lord Eldons fanden seinen Beifall; selbst den eisernen Herzog hielt 
er für einen gefährlichen Ränkeschmied, weil Wellington sich den Forde-
	        
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