646 IV. 9. Der welfische Staatsstreich.
rungen der Zeit doch nicht ganz versagte. Die für so lange Jahre folgen—
reiche Wiedererhebung der Torys im Jahre 1807 war zum guten Teile
Cumberlands Werk und blieb ihm bei den geschlagenen Whigs unver—
gessen. In den folgenden Jahren bekämpfte er hartnäckig jeden Reform—
vorschlag, am heftigsten die Emanzipation der Katholiken; denn ganz so
buchstabengläubig wie sein Vater hielt er es für einen Eidbruch, wenn
die verfassungsmäßigen Vorrechte der anglikanischen Kirche auf verfassungs—
mäßigem Wege beschränkt würden. Er wurde Großmeister des reaktionären
Geheimbundes der Orangelogen, der unter dem Banner „Thron und Kirche“
höchst verdächtige Zwecke verfolgte und schon durch seine Heimlichkeit allen
guten altenglischen überlieferungen widersprach; manche Heißsporne unter
den Verschworenen hofften im Ernst, den reformfreundlichen König Wil—
helm zu beseitigen und Cumberland auf den Thron zu erheben. Als die
Wühlerei im Parlamente zur Sprache kam und der Herzog sich genötigt
sah, die Logen aufzulösen (1836), da beteuerte er heilig, vielleicht mit
Recht, von solchen Plänen nichts gehört zu haben. Doch wer sollte ihm
Glauben schenken, wenn er, der Feldmarschall und Großmeister, dann auch
noch behauptete, ganz ohne sein Wissen seien Offiziere in die Logen ein-
getreten?
Die Briten kannten ihn schon. Aufrichtig war er nur, sobald er unter
Kameraden gemeine Witze riß oder seine Gegner mit schmutzigen Schimpf-
reden überflutete. Seine geschmacklosen Ausschweifungen und seine tolle
Verschwendung hätte man ihm gern verziehen, wenn sich in dem wüsten
Treiben auch nur ein Zug menschenfreundlichen Humors gezeigt hätte.
Er aber fand seine Lust daran, den Freund gegen den Freund, den Gatten
gegen die Gattin, die Geliebte gegen den Liebhaber aufzustacheln. Das
eine kurzsichtige Auge, das ihm noch geblieben war, bemerkte jede Unord-
nung, jede Schwäche, jede Lächerlichkeit, und feige, unritterlich den Vor-
teil seiner hohen Stellung mißbrauchend, hechelte er dann mit seiner
feinen Stimme seine Opfer durch; schlagfertige Erwiderungen, wie sie der
große Friedrich und alle wahrhaft witzigen Spötter liebten, donnerte er
mit einem Fluche nieder. Jedem Menschen trat er auf die Hühneraugen,
so sagten seine eigenen Brüder. Wenn er einen gebrechlichen, greisen Herrn
recht lange stehen ließ oder einen Feinschmecker durch eine plötzliche Ein-
ladung vom leckeren Mahle hinwegscheuchte oder an einer hellgekleideten
alten Dame sich den Rücken wärmte, als ob er sie für einen weißen
Ofen hielte, dann fühlte er sich behaglich; und sein getreuer Reverend
Wilkinson, den er nachher als Hofkaplan nach Hannover berief, bewun-
derte diese brutalen Witze mit so bedientenhafter Freude, daß die Deutschen
glauben mußten, nach englischer Anschauung bestehe der Lebensberuf des
Fürsten wirklich im Zertreten von Leichdörnern. Eine stattliche Erschei-
nung, wenn der starke große Herzog mit dem meisterhaft gewichsten grauen
Schnurr= und Backenbarte auf seinem edlen Rosse dahergeritten kam;