62 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
das unzuverlässige litauische Korps des Generals Rosen, und bald sah
sich Diebitsch genötigt, noch weiter ostwärts zurückzugehen. Die Garden
trafen auf ihrem Pariser Siegeszuge gerade noch rechtzeitig ein, um in
Polen das Verderben aufzuhalten. Ein langer und schwerer Krieg stand
bevor; mit heller Schadenfreude verkündeten die europäischen Zeitungen,
wie schwach der gefürchtete nordische Koloß sich erwiesen habe. Auf viele
Monate hinaus war Rußland außer stande, in die Händel Westeuropas
tätig einzugreifen. —
Aber auch die beiden anderen Teilungsmächte wurden durch die
polnische Revolution gelähmt. Wieder wie einst beim Beginne des ersten
Revolutionskrieges stand Preußen in Gefahr, zwischen zwei Feuer zu ge—
raten; kein preußischer Staatsmann durfte verkennen, was die Pflicht
der Selbsterhaltung gebot. Blieb der Aufstand in Warschau siegreich, so
waren Posen und Westpreußen schwer gefährdet, und in Frankreich ge-
langte voraussichtlich die Partei der revolutionären Propaganda ans
Nuder. An dieser handgreiflichen Wahrheit konnten die glatten Worte der
Polen nichts ändern. Graf Titus Dzialynski, das Oberhaupt der Posener
Verschwörer, eilte, sobald die Revolution ausgebrochen war, nach War-
schau, um anzufragen, ob eine Schilderhebung in Posen ratsam sei. Die
provisorische Regierung aber, die noch unter Czartoryskis behutsamer
Leitung stand, wies ihn ab und beeilte sich, in einem um einen Tag
vordatierten Briefe dem preußischen Konsul Schmidt unaufgefordert zu
erklären: sie hege „die feste Absicht, gewissenhaft die Grenzen aller Staaten
Sr. Maj. des Königs von Preußen zu achten.“ Zum UÜberfluß kam
der harmlose Posener Graf selber zu dem Konsul und versicherte gemüt-
lich, er sei nur nach Warschau gereist, um seine Mutter zu besuchen.)
Wen sollten solche Künste täuschen? Während Tag für Tag Überläufer aus
Preußen in das polnische Heer eintraten — darunter auch der aus Glogau
entflohene General Uminski — und sogar eine Posener Reitertruppe ge-
bildet wurde, rechneten die Warschauer Gewalthaber noch immer auf
die deutsche Gutherzigkeit und ließen den König durch General Kniaziewicz
um seine Vermittlung bitten. Friedrich Wilhelm lehnte das Gesuch schroff
ab und gab den Aufständischen den Rat, sich ihrem Könige zu unter-
werfen..“) Er durfte in ihnen nur Feinde seines eigenen Staates sehen, rief
seinen Konsul aus Warschau zurück und stellte die in Berlin verwahrten
Gelder der polnischen Bank dem rechtmäßigen Könige zur Verfügung.
Als die Dinge ernster wurden, ließ er die 130 Meilen lange Grenz-
linie durch Truppen der vier östlichen Armeekorps besetzen. Gneisenau
*) Schreiben der Provisorischen Regierung an Schmidt, 4. Dezember. Schmidts
Berichte, 5. 9. Dezember 1830.
*“.) Schmidts Bericht, 27. Dezember 1830. Ancillons Weisung an Schöler
19. Januar 1831.