Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die polnischen Flüchtlinge. 91 
werden. In der Hauptstadt gebot der zum Fürsten von Warschau er— 
hobene Paskiewitsch mit eiserner Strenge; er verhöhnte die Geschlagenen 
ins Angesicht, feierte seine Siege in prunkenden Festen, und als ihm der 
Zar das von Thorwaldsen soeben vollendete Reiterstandbild des polnischen 
Nationalhelden Poniatowski schenkte, ließ er der Bildsäule den Kopf ab— 
schlagen, seinen eigenen Kopf darauf setzen und dann dies unvergleichliche 
Denkmal moskowitischer Barbarei vor einem seiner Schlösser aufstellen. 
Bei alledem spielten die Westmächte eine klägliche Rolle. Mehrmals 
erhoben sie schüchternen Einspruch und beriefen sich auf die Wiener Ver- 
träge, die sie doch selber beständig verletzten. Alle diese Versuche wurden 
von den drei Teilungsmächten kurzerhand abgewiesen; denn die Wiener 
Kongreßakte verhieß den Polen nur im allgemeinen „nationale Institu- 
tionen“, und eine nationale Verwaltung blieb dem Lande auch jetzt noch 
erhalten.*) Jahraus jahrein ergingen sich die Parlamente von England 
und Frankreich fortan in Kundgebungen einer unfruchtbaren Entrüstung. 
Der furchtsame Bürgerkönig nahm die polnischen Flüchtlinge gastlich bei 
sich auf. Im stillen fühlte er sich doch erleichtert durch die Unterdrückung 
eines Aufstandes, der ihm nur Verlegenheit bereitet hatte. Sein Ver- 
trauter Sebastiani plauderte dies Herzensgeheimnis unvorsichtig aus, als 
er in der Kammer die Außerung fallen ließ: „Die Ordnung herrscht in 
Warschau“ — ein Wort, das von den Liberalen aller Länder begierig auf- 
gegriffen und jahrelang beständig wiederholt wurde, um die Ruchlosigkeit 
der Kronen zu brandmarken. — 
  
Durch den Fall von Warschau gewann die Politik der Ostmächte 
wieder freiere Bewegung; indes war Rußland durch den polnischen Kampf 
so erschöpft und das Friedensbedürfnis an den beiden deutschen Höfen 
so stark, daß eine ernste Kriegsgefahr kaum noch hereinbrechen konnte. 
Die belgische Frage schritt der Lösung entgegen, sehr langsam allerdings und 
unter mannigfaltigen Verwicklungen. Der am 15. November mit Belgien 
abgeschlossene Vertrag erregte in Berlin wie in Wien und Petersburg 
gerechtes Befremden; denn die Gesandten der drei Mächte hatten ihn 
ohne Vollmacht unterzeichnet, und ohne die Mitwirkung Hollands, wäh- 
rend die Londoner Konferenz doch berufen war, zwischen den streitenden 
Parteien zu vermitteln. Dennoch war König Friedrich Wilhelm zur 
Genehmigung bereit, da er den Inhalt des Vertrags billigte; nur wollte 
er die Ratifikation erst dann aussprechen, wenn alle Großmächte und 
womöglich auch Holland beistimmten und dadurch eine endgültige Ent- 
scheidung gesichert war. Den ganzen Winter hindurch mühte Preußen 
sich ab, die allgemeine Übereinstimmung herbeizuführen. Österreich 
  
*) Maltzahns Berichte, 9. Nov. 1831 ff.
	        
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