Trinkspruch des Erzherzogs Johann. 177
Hofburg dagegen galt er für verdächtig; das alte grundlose Märchen, daß
er in den napoleonischen Tagen sich ein Alpenkönigreich Rhätien hätte
schaffen wollen, fand dort noch immer Glauben. Seit Jahren lebte er
dem Hofe fern in der Steiermark, ein rüstiger Landwirt und Gemsjäger,
mit vielen Gelehrten und Künstlern befreundet, eifrig bemüht um die
wissenschaftlichen Sammlungen der steirischen Hauptstadt. Er sah aus
wie ein schlichter Bauersmann, und die seinem Hause eigentümliche Kunst
der gemütlichen Anbiederung verstand er aus dem Grunde; auch wußte
man, daß er sich unter Freunden zuweilen mit dem Unmute des gebil-
deten Mannes über die Torheiten der k. k. Zensur äußerte. So gelangte
er unverdientermaßen in den Ruf eines Oppositionsführers; noch lauter
ward seine Freisinnigkeit gepriesen, als er sich in die Tochter eines ein-
fachen Posthalters verliebte und dies wackere Kind heimführte, denn der
gefühlvolle Liberalismus jener Tage schwärmte für Mißheiraten ganz so
treuherzig wie die Putzmacherinnen und die Ladenmädchen. Auf den
Trinkspruch des Königs dankte der Erzherzog tiefgerührt und schloß etwa
also: „Solange Preußen und Osterreich, solange das übrige Deutsch-
land, soweit die deutsche Zunge klingt, einig sind, werden wir unerschütterlich
dastehen wie die Felsen unserer Berge.“ Wunderbar war die Wirkung
dieser unschuldigen Worte; den Zeitgenossen schien es ganz unerhört, daß
ein Erzherzog in Gegenwart Metternichs, und mit den Worten des ver-
femten Arndtschen Vaterlandsliedes die Einigkeit Deutschlands gepriesen
hatte. Sofort wurde der alte Herr ein berühmter Mann; die Zeitungen
versicherten, er hätte gesagt: kein Österreich, kein Preußen mehr! ein
einig Deutschland hoch und hehr, ein einig Deutschland fest wie seine
Berge! In Nationen, die einer großen Entscheidung entgegenzittern,
walten die Kräfte der Mythenbildung mit rätselhafter Stärke; sie
warfen sich jetzt auf den Osterreicher und gestalteten ihn zu einem volks-
tümlichen Helden, ganz wie die Italiener sich bald nachher ein phanta-
stisches Idealbild von dem liberalen Papste Pius IX. aufbauten. Der
neckische Humor der Weltgeschichte war damit noch nicht erschöpft; die
Zeit sollte kommen, da Erzherzog Johann zur Belohnung für einen Trink-
spruch, den er so nicht gehalten, an die Spitze der deutschen Nation
berufen wurde.
Nach dem Brühler Festmahle rastete Friedrich Wilhelm eine Weile
auf seinem Stolzenfels. Dann ging er nach Trier, wo ihn die alten
Erinnerungen wieder zu einer Rede begeisterten. Als er darauf nach Saar-
brücken, an die äußerste Westgrenze seines Reiches kam, da stieg das Bild
der fernen Ostmark vor seiner Seele auf, das Bild der anderen Grenzstadt,
wo er erst vor zwei Monaten, von Rußland heimkehrend gelandet war.
Für dies Memel hegte er stets eine Passion, wie er sagte; dort waren
ihm einst frohe Knabentage vergangen, dort hatte er so oft am Strande
geträumt, wenn die Dünenreihe der Nehrung im geheimnisvollen
v. Treitschke, Deutsche Geschichte V. 12