178 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
Dämmerscheine der langen nordischen Sommernächte wie ein goldgrüner
Schleier über dem Meere lag. In sinnigen Worten faßte er jetzt zu—
sammen, was er für den Osten wie für den Westen seiner Lande empfand,
und trank auf das Wohl der beiden Städte Saarbrücken und Memel.
So wand er sich Rose auf Rose in den Kranz seines Lebens. Er be—
durfte des Glückes; in solchen Tagen poetischer Wanderfreuden sprühte
er von Geist und Leben. Der Eindruck war so blendend, daß selbst der
nüchterne König von Württemberg ganz bezaubert von den rheinischen
Festen heimkam, und der Gesandte aus Stuttgart ehrlich berichtete: „wenn
Seine Majestät überhaupt ein Herz für irgend jemand auf der Welt
haben, so ist es Euerer Majestät zugewandt.“*)
Auch außerhalb des Rheinlandes erwarb sich Friedrich Wilhelm durch
diese Festreden für kurze Zeit wieder die Gunst des Volkes; denn überall
in Deutschland herrschte während des heißen Sommers von 1842 eine
gehobene patriotische Stimmung. Mehr noch als die Freude an dem
großen rheinischen Nationalwerke beschäftigte die deutschen Herzen die ge—
meinsame Teilnahme für das unglückliche Hamburg. Am 5. Mai, als
man gerade die neue Eisenbahn nach Bergedorf festlich zu eröffnen dachte,
wurde die Hansestadt von einem ungeheueren Brande heimgesucht. Drei
und einen halben Tag hindurch wüteten die Flammen; an zweitausend
Häuser, mehr als ein Fünftel der Stadt, sanken in Asche, darunter alle
die prächtigen neuen Gebäude des Jungfernstiegs an dem Wasserbecken
der Alster; fast zwanzigtausend Menschen verloren ihr Obdach, den Schaden
schätzte man auf 45 Millionen Taler. Das grauenhafte Schauspiel
erinnerte an die Sagen des Altertums. Ein Funkenregen, wie er einst
auf Pompeji herabsank, wurde vom mißgünstigen Winde weithin über
die Stadt getragen; in mächtigen Springquellen stieg der brennende Sprit
aus den großen Weinlagern auf und nieder, das Wasser der Fleete mit
blauen Flämmchen bedeckend; die schreckliche Hitze und ein feiner Staub,
der wie glühendes Mehl in alle Poren drang, benahmen den Menschen
fast die Sinne. Zu Anfang betrugen sich die Behörden schwach und
kopflos; auch die Bürger zeigten die allen Großstädtern bei Feuerlärm
eigentümliche Gleichgültigkeit und vertrauten blindlings auf ihre gerühm-
ten Löschanstalten. Die Größe der Gefahr ward erst erkannt, als der
hohe Turm der Nikolaikirche jählings auf das Kirchendach herabstürzte,
mit seinen umherfliegenden Trümmern alle Häuser ringsum entzündend,
und sein schönes Glockenspiel im Herabfallen wie in wahnsinniger Ver-
zweiflung grelle Mißtöne erklingen ließ. Nun erst erlaubte der Senat,
daß unter der Leitung des verdienten englischen Ingenieurs Lindley ganze
Häuserreihen in die Luft gesprengt oder mit Kanonen zusammengeschossen
wurden, sogar das ehrwürdige Rathaus, wo der Senat ein halbes Jahr-
*) Rochows Bericht, 25. Sept. 1842.