Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

180 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
schöner und stattlicher wieder aufgebaut, die Häfen erweitert, neue Ver— 
bindungen mit dem linken Elbufer eingerichtet. 
So erfüllte sich, was Schenkendorf in der Trübsal der napoleonischen 
Herrschaft vorhergesagt: man sah in jungen Ehren den Phönix Hamburg 
wieder. Doch die Not lehrt nicht bloß beten, sie lehrt auch in sich gehen 
und um sich blicken. Die politischen Gebrechen des unbehilflichen altvä— 
terischen Gemeinwesens waren in den Schreckenstagen doch gar zu fühl— 
bar geworden; bald nachher beschloß die angesehene Patriotische Gesell— 
schaft, auf den Antrag des Publizisten Wurm, des Doktors Kirchenpauer 
und anderer jüngerer Bürger, den Senat um Trennung von Rechtspflege 
und Verwaltung, um ein freieres Wahlverfahren in den städtischen Kolle— 
gien, endlich um Verbesserung des verwahrlosten Polizeiwesens zu bitten. 
Der alte Bürgermeister Bartels aber und die Mehrzahl der Senatoren 
erklärten diese bescheidenen Wünsche für jakobinisch, und da auch die Mehr- 
zahl der Bürgerschaft, ganz dahingenommen von wirtschaftlichen Sorgen, 
für politische Fragen jetzt keinen Sinn hatte, so kam von allen geplanten 
Reformen nur die eine zu stande, daß die Juden fortan überall in der 
Stadt, nicht wie bisher nur in bestimmten Stadtvierteln wohnen durften. 
Nach wenigen Jahren sollten sich diese politischen Unterlassungssünden 
schwer bestrafen. 
Bei dem Wiederaufbau der Stadt half die gesamte Nation brüder- 
lich mit. Schon während des Brandes eilten aus allen deutschen Nach- 
barstaaten Truppen und Löschmannschaften herbei, und auch nachher kam 
die beste Hilfe, wie billig, aus Deutschland, obgleich die gesamte gesittete 
Welt, namentlich das mit dem großen Freihafen der Elbe durch so mannig- 
fache Interessen verbundene Nordeuropa reiche Beiträge spendete. Vor- 
räte aller Art wurden elbabwärts gebracht, so daß die kleinen Leute in 
Hamburg, die nur wenig verloren, aber jetzt viel zu verdienen hatten, nach 
dem Brande fast besser lebten denn zuvor; an barem Gelde sendete das 
noch immer arme Binnenland in wenigen Monaten mehr denn 1,6 Mill. 
Mark Banco. Selbst im Süden, wo man die Hansestädte wegen ihrer 
Handelspolitik wenig liebte, bekundete sich das Mitgefühl in manchen 
rührenden Zügen; in Heidelberg bildeten sogar die Dienstmädchen einen 
Hilfsverein. Und alle diese Werke der Barmherzigkeit verklärte der pa- 
triotische Gedanke. Zahllose Gedichte und Aufrufe sprachen aus: durch 
den Kölner Dom und den Wiederaufbau Hamburgs müßten die Deutschen 
zeigen, daß sie als Landsleute in Freud und Leid zusammenstünden. Der 
Naturdrang der nationalen Einheit wallte kräftig auf, und ganz im Sinne 
seines Volkes sang Hoffmann von Fallersleben: 
Ja in Hamburgs Feuerscheine 
Tat uns Gott die Wahrheit kund, 
Und des Neubaus erste Steine 
Sind der neue deutsche Bund.
	        
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