Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Friedrich Wilhelm in Neuenburg. 181 
Auch der König von Preußen nahm an dem Werke der Barmherzigkeit 
freudig teil. Er half durch seine Truppen die Ordnung aufrecht halten, 
schickte den Oberpräsidenten Flottwell hinüber, um selbst nachzusehen, wo 
Hilfe not täte, spendete, wie die meisten anderen deutschen Fürsten ein großes 
Geldgeschenk, ließ überall in seinem Staate eine Haus- und Kirchenkollekte 
veranstalten, weil er glaubte, daß seine Preußen diese Not „als gemein— 
same Not empfinden würden“, und da die vom Bundestage so oft ver— 
folgte Buchhandlung von Hoffmann und Campe durch den Brand schwer 
gelitten hatte, so erlaubte er, daß ihre Verlagswerke, die in Preußen erst 
kürzlich wieder in Bausch und Bogen verboten worden waren, fortan frei 
umlaufen durften. Diese Gnade rechnete man ihm hoch an, weil sie der 
liberalen Sache zu gute kam, und nur wenige bedachten, welch eine Willkür 
doch in solcher Gemütlichkeit lag. 
Vom Rhein reiste der König zu seinen treuen Neuenburgern, die ihm 
vor kurzem jubelnd gehuldigt und dafür die altherkömmliche Zusage er- 
halten hatten, daß er die Landschaft nie veräußern, ihre Rechte allezeit 
wahren würde. Mit allem monarchischen Pomp empfing der Kanton 
seinen Fürsten; die Glocken läuteten, auf den Triumphbogen wehten preu- 
ßische und neuenburgische, nur selten ein schweizerisches Banner. Die 
amtliche Welt dachte durchaus royalistisch, vom jüngsten Leutnant bis hin- 
auf zu Baron Chambrier, dem einflußreichsten Manne des Fürstentums; 
auch die Massen bekundeten lebhafte Freude, denn die im stillen ange- 
wachsene, aber noch führerlose radikale Partei hielt sich scheu zurück. So emp- 
fing der König die allergünstigsten Eindrücke und sagte oft: auf keine meiner 
Untertanen bin ich so stolz. Er ahnte nicht, wie bald das Schicksal ihn 
fragen sollte, ob er der Mann sei, diesen Getreuen seinen Eid zu halten. — 
Während aller dieser Reisen beschäftigte den König fortwährend die 
Ausbildung der seinem Herzen so teuren ständischen Institutionen. Be- 
glückt durch den friedlichen Verlauf der letzten Landtage, hatte er bereits 
im Frühjahr die Absicht ausgesprochen, die neu gebildeten ständischen 
Ausschüsse, die noch in keiner Provinz ihre Tätigkeit begonnen hatten, 
schon in diesem Jahre insgesamt als Vereinigte Ausschüsse nach Berlin 
zu berufen. Ein zwingender Grund lag freilich nicht vor; man wußte 
nicht einmal, womit sich die Ausschüsse beschäftigen sollten. Friedrich 
Wilhelm fühlte sich jedoch in der Stimmung eines glücklichen Vaters, 
der es nicht erwarten kann, seinen wohlgeratenen Kindern eine frohe 
Überraschung zu bereiten. Als am 11. Juni das Staatsministerium 
mit der ständischen Kommission zu gemeinsamer Besprechung zusammen- 
trat, da zeigte sich fast jedermann ratlos. Niemand verstand recht, 
was diese Ausschüsse eigentlich bedeuteten. Sie waren, wie es die Ver- 
ordnung vom 22. Mai 1815 für die künftigen Reichsstände vorschrieb, 
„aus den Provinzialständen gewählt.“ Waren sie nun selber die damals 
verheißene Landesrepräsentation, oder sollten sie nur über Fragen, die der
	        
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