Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

194 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
Zensor v. Uria-Sarachaja durch seinen ultramontanen Fanatismus beson- 
ders hervor. Er begann einen Vernichtungskampf gegen die Mannheimer 
Abendzeitung, ein radikales Blatt, das der Preuße Karl Grün erst von 
Mannheim aus, nachher, als man ihn aus Baden ausgewiesen, noch 
eine Weile vom linken pfalzbayrischen Rheinufer aus leitete. Alle deut- 
schen Regierungen zitterten vor Grüns groben Ausfällen; der preußische 
Hof mahnte den badischen, das Blatt zu verbieten, und erhielt die Ant- 
wort: Preußen sollte nur der Abendzeitung den Postdebit entziehen, dann 
ginge sie von selbst ein. Da ergab sich denn nach amtlicher Untersuchung, 
daß die gefürchtete Zeitung in ganz Preußen nur 134 Abonnenten zählte, 
in Berlin und den östlichen Provinzen ihrer 44. So kläglich stand es 
noch fast überall um den Absatz der Tagesblätter. Freilich wurden die 
spärlichen Exemplare in den Konditoreien und Klubs von sehr vielen und 
sehr andächtig gelesen, so daß sie mehr wirkten als heutzutage. Das 
Verbot unterblieb schließlich, weil man das Argernis scheute.“) 
Nun aber half Uria mit seinem unerbittlichen Rotstift aus und zähmte 
das Blatt binnen kurzem gänzlich. Hierauf wendete sich der kleine Wüterich 
gegen das Mannheimer Journal des Rechtsanwalts Gustav v. Struve, der 
damals noch zur gemäßigten liberalen Partei gehörte. Mochten die Schrift- 
steller des Mannheimer Journals dem Jesuitenorden seine wohlbekannten 
alten Fürstenmords-Lehren vorhalten oder die nicht mehr neue Behaup- 
tung aufstellen, der Gebietsumfang der Bundesstaaten Preußen, Baden 
und Waldeck sei doch recht ungleich, oder auch die poetische Gräfin Hahn- 
Hahn in anzüglichen Versen „Du adelstolze Ida“ anreden, oder einfach 
ankündigen, daß ein liberaler Professor öffentliche Vorträge über Experi- 
mentalphysik zu halten gedenke: — einerlei, Uria strich alles; oder wenn 
sich gar nichts streichen ließ, dann schrieb er mindestens eine grobe Be- 
merkung an den Rand des Zensur-Exemplars, als zum Beispiel: „ist 
zwar wieder eine Lüge, kann indessen passieren.“ Als die Regierung alle 
amtlichen Bekanntmachungen ausschließlich der wenig bekannten Mann- 
heimer Morgenzeitung überwies, und viele angesehene Einwohner, darunter 
Männer wie Karl Mathy und Fecht, öffentlich erklärten, sie würden trotz- 
dem das Blatt weder lesen noch halten, da wurde selbst diese Kundgebung 
vom Zensor unterdrückt, obschon sie kein beleidigendes Wort enthielt. In 
seiner Verzweiflung verfiel Struve endlich auf einen tollkühnen Anschlag. 
Er sammelte alle durch Uria gestrichenen Stellen seines Journals und 
ließ sie zu Mannheim selbst in drei zensurfreien Zwanzigbogen-Bänden 
mit roten Lettern drucken. Niemand wagte ihn zu hindern. Ein über- 
wältigender Anblick: diese drei Bände badischer Zensurstriche, denen die 
badischen Gerichte nichts anhaben konnten! Drastischer ließ sich der Aber- 
witz des Karlsbader Preßgesetzes nicht erweisen. 
*) Nagler an Thile, 4. März. Bülow, Weisung an Dönhoff, 26. Febr. Denk- 
schrift des Auswärtigen Amts. 9. Nov. 1844. 
 
	        
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