Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Der Muster-Zensor. Norddeutsche Presse. 195 
Fast noch tiefer lag die norddeutsche Presse danieder. Die Leipziger 
Allgemeine Zeitung der Firma Brockhaus bemühte sich, nach dem Vor— 
bilde der Augsburger Allgemeinen, den Gebildeten aller Parteien des 
Nordens einen Sprechsaal zu eröffnen; indes klang in ihren Spalten der 
protestantisch-liberale Grundton noch weit vernehmlicher durch als der 
österreichische in dem süddeutschen Blatte. Sie brachte zahlreiche Bei— 
träge von Mundt, Buhl, Rutenberg und den anderen jungen liberalen 
Literaten, die sich in der berühmten roten Stube der Stehelyschen Konditorei 
zu Berlin versammelten. Diese Berliner Berichte lauteten immer boshafter, 
höhnischer, grimmiger, je mehr die Stimmung in Preußen sich verbitterte; 
auch viele preußische Beamte schütteten hier, gedeckt durch die Anonymität, 
ihren Unmut aus, nicht selten unter Verletzung des Amtsgeheimnisses. 
Also wurde die Zeitung allmählich zu einer Ablagerungsstätte für allen 
preußischen Skandal; und da ihr in Preußen der Postdebit zugesichert 
war, so geschah es wohl, daß unzufriedene Schlesier ihre Klagen nur 
deshalb nach Leipzig schickten, um die Artikel des erlaubten sächsischen 
Blattes nachher ungestraft in der Breslauer Zeitung nachzudrucken.“) 
Den Berliner Behörden war es eine ganz neue Erfahrung, daß preußische 
Zustände von einem nichtpreußischen Blatte so eifrig besprochen wurden; 
sie fürchteten sich vor diesen persönlichen Angriffen, und mancher Geheime 
Rat fragte, wenn er morgens sein Bureau betrat, angstvoll: was die Leip- 
ziger Allgemeine wieder gesagt hätte? Die stille Zeit war dahin, da die reiche 
Meßstadt ihre politische Bildung aus dem vielverspotteten „sächsischen Kin- 
derfreunde“, der unsäglich geistlosen amtlichen Leipziger Zeitung geschöpft 
hatte. Der Literatenkreis an der Pleiße vermehrte sich beständig durch 
mißvergnügte Zuzügler aus den Nachbarlanden; aus Osterreich kamen 
Schlesinger, Herloßsohn, Hartmann, Meißner. Wer unter diesen Halb- 
flüchtlingen etwas gelten wollte, mußte mindestens eine liberale Brand- 
schrift oder ein Sonett gegen Metternich geschmiedet haben. 
Auch Arnold Ruge siedelte nach Sachsen über, von den liberalen 
Hallensern zum Abschied noch mit begeisterten Huldigungen begrüßt, und 
ließ seine Hallischen Jahrbücher auch fernerhin bei dem getreuen O. Wi- 
gand erscheinen, aber unter dem neuen Namen der Deutschen Jahrbücher, 
damit die preußischen Behörden nichts mehr dreinzureden hätten. Einige 
dieser burschikosen Leipziger Literaten fanden ein Unterkommen bei Heinrich 
Laubes „Zeitung für die elegante Welt“ oder bei Robert Hellers „Rosen“; 
die meisten trieben Politik, keiner eifriger als der unstete kleine Böhme 
Ignaz Kuranda. Der hatte in Brüssel eine literarisch-politische Rundschau, 
die Grenzboten gegründet, um seine österreichischen Landsleute aus dem 
Schlummer zu rütteln, und verlegte diese Wochenschrift jetzt nach Leipzig, 
wo sie dem Wiener Hofe bald lästig wurde und mit der Zeit auch die 
  
*) General von Röder an Thile, 17. Aug. 1842. 
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