Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

196 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
preußischen Zustände scharf zu beobachten begann. Kurandas treuer Ge— 
hilfe war ein anderer böhmischer Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf- 
mann, ein schüchterner Stubengelehrter von linkischem Wesen, dem man gar 
nicht ansah, wie klar und sicher er über politische Fragen urteilte. Ganz 
unerhört aber war es in diesem Lande des Preußenhasses, daß ein geborener 
Kursachse Karl Biedermann sich jetzt unterstand, eine „Deutsche Monats- 
schrift“ herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizers, die preußische 
Hegemonie, allerdings ohne den Geist und Schwung des Schwaben, aber 
mit tapferem Freimut verteidigte. Die Monatsschrift zeigte Verständnis 
für das wirtschaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern 
einer festeren deutschen Staatsbildung; freilich zählte sie nur 500 Abon- 
nenten, doch mehr hatten auch Ruges gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu- 
weisen. 
Alle diese Plänkler der Tagesmeinung sahen sich durch den Unverstand 
der Zensurvorschriften zu verzweifelten Zigeunerstreichen gezwungen, zu 
listigen Umgehungen des Gesetzes, welche, vom Volke stets mit Schaden- 
freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit 
erschüttern mußten. Wenn der Kölnischen Zeitung die Korrespondenzen 
„von der Murg“ gestrichen wurden, so erschienen die nämlichen Artikel 
wieder mit der Aufschrift „von der Leine“. Die in Osterreich streng 
verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Kisten mit doppelten 
Böden oder als Umschläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh- 
mische Grenze; in die berüchtigten Freischeine der k. k. Zensur pflegten 
die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzuschalten. 
Kam in Leipzig ein gefährliches zensurfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus- 
gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der gesamten Auflage 
vor dem Polizeihause vor; kaum war das gesetzliche Pflichtexemplar abge- 
liefert, so eilten die Pferde in rasendem Laufe durch die Gassen des Buch- 
händlerviertels, und im Nu verschwanden die Bücherpakete in den Kom- 
missionsgeschäften, bevor die Behörde noch Zeit fand, ein Verbot auszu- 
sprechen. 
Für die unglücklichen Zensoren schien kein Wort der Verachtung zu 
schlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es schon längst 
dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte 
Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine besten 
Räte zu Zensoren hergeben? — sagte der Oberpräsident der Rheinpro- 
vinz zu dem klagenden Verleger der Kölnischen Zeitung. Oft genug 
mußte man sich mit unerfahrenen Assessoren behelfen, die den Auftrag 
nicht ablehnen durften. Da geschah es einst zu Köln, daß zwei solche 
jugendliche Zensoren nach einem lustigen Gelage mit dem Nachtwächter 
Händel begannen; der eine war der geistreiche Graf Fritz Eulenburg, der 
also nicht ohne Geräusch seinen Einzug in die preußische Geschichte hielt. 
Obwohl die Missetat durch Versetzung und durch eine Geldstrafe gefühnt
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.