212 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
treter des gemäßigten Liberalismus vor „subversiv-kommunistischen Ten-
denzen“ zu warnen, so bewies er damit nur, wie völlig die Regierung
durch ihre Angst verblendet war: sie vermochte die grundverschiedenen
Richtungen, die sich augenblicklich in der Opposition zusammenfanden,
gar nicht mehr zu unterscheiden. Da Brüggemann sich als erfahrener Pu-
blizist vor den Zensoren selten eine Blöße gab, auch dem kirchenfeindlichen
Treiben der Junghegelianer fern blieb, so gewann die Kölnische Zei-
tung starken Anhang. Mit ihren 9000 Abonnenten oder mehr wuchs sie
bald zu einem großen Blatte heran und wurde der Regierung gerade
durch ihre ruhigere Haltung fast noch lästiger als vordem die Rheinische
Zeitung.
Für die Leipziger Allgemeine aber boten die demokratischen Buchhand-
lungen, die sich überall dicht vor der deutschen Südwestgrenze auftaten,
der Skandalsucht der Lesewelt reichlichen Ersatz. In Winterthur hatte
der Thüringer Julius Fröbel das Literarische Comptoir gegründet, das
sich zuerst durch Herweghs Gedichte einen Namen erwarb. Mechrere
wirkliche oder vorgebliche Flüchtlinge halfen mit, eine Zeitlang auch einer
der Gebrüder Follen, der schöne Adolf, vormals von den Unbedingten
als deutscher Kaiser gefeiert. Ein ehrenhafter, aber durchaus doktrinärer
Demokrat, hielt Fröbel in den mannigfachen Wandlungen seiner poli-
tischen Ansichten viele Jahre hindurch nur einen Gedanken unverbrüchlich
fest, den Haß gegen Preußen; er sprach offen die Absicht aus, durch seinen
wilden Verlag die Macht der Zensur für immer zu untergraben. Zu-
gleich eröffnete Wirth, der Volksredner des Hambacher Festes, in Bellevue
bei Konstanz die Druckerei der deutschen Volkshalle; ähnliche Unterneh-
mungen entstanden in Straßburg, Bern, Zürich.
Also aus sicherer Ferne prasselte ein Hagel radikaler Schriften über die
deutsche Grenze herein. Alle wurden begierig gelesen; manche erregten gro-
ßes Aufsehen, so eine aus Wahrheit und Dichtung gemischte Darstellung des
Prozesses Weidig, so zwei von Schmutz starrende Bücher des jungen Schwaben,
Joh. Scherr, das enthüllte Preußen und Württemberg i. J. 1844. Auch die
kleinen deutschen Nachbarstaaten mußten manche Schmähschrift gegen Preu-
ßen stillschweigend dulden, sie hatten den Mut schon verloren und waren
froh, wenn sie sich ihrer eigenen Haut wehren konnten. Der Rheinländer
Karl Heinzen, der roheste aller preußischen Demagogen, ließ seine unflätigen
Bücher über die preußische Bureaukratie, die Opposition und wie sie sonst
hießen, in Darmstadt drucken oder bei dem radikalen Buchhändler Hoff in
Mannheim; nur wenn er offen Meuterei und Hochverrat predigte, wie in
den „dreißig Kriegsartikeln“ für das deutsche Heer, dann nannte er einen
beliebigen Druckort. Heinzen hatte nach einer abenteuerlichen Jugend als
ein Schiffbrüchiger ein Unterkommen im preußischen Subalterndienste gefun-
den und dort zwar die Demütigungen erfahren, die in solcher Lage keinem
gebildeten Manne erspart bleiben, doch niemals ein Unrecht erlitten; gleich-