214 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
eine neue Kleidung erhielt: kleidsame Waffenröcke statt der abgeschmackten
Fräcke, Helme statt der Tschakos. Eine Flut von Spötterei ergoß sich über
die Pickelhauben, die mittelalterliche Erfindung königlicher Romantik. Sehr
bald begann man doch zu fühlen, daß Friedrich Wilhelm seinen Trup—
pen die zweckmäßigste und schönste Kleidung gegeben hatte, welche je ein
modernes Heer getragen; er hielt mit seinem feinen künstlerischen Ge-
schmacke glücklich die Mitte ein zwischen der Steifheit der altrussischen und
der seiltänzerischen Buntheit der neufranzösischen Uniformen, und in einem
glorreichen halben Jahrhundert ist diese Kleidung der Nation so vertraut
geworden, als ob deutsche Krieger in anderer Tracht gar nicht auftreten
könnten.
Wie anders als unter dem alten Herrn erschienen nunmehr die
Schlösser in Berlin und Potsdam, die sich so lange nur zu großen Hof-
festen geöffnet hatten; jetzt drängten sich Maskenbälle, Konzerte, lebende
Bilder, Theateraufführungen. Nicht selten bat sich der Monarch auch selbst
zu Gaste im Palaste des Fürsten Radziwill, dem Sammelplatze des katho-
lischen Adels, oder bei dem Grafen Pourtaleès, dem Grafen Redern, wo
zuweilen Jenny Lind und Franz Liszt sich hören ließen, oder bei der
schönen Herzogin von Sagan-Kurland, die in ihren reifen Jahren noch
einen so bestrickenden Zauber auf Männerherzen ausübte, daß der viel-
bewunderte Fürst Felix Lichnowsky ihr wie ein Schatten folgte. Das
diplomatische Korps zeichnete sich aus durch eine große Zahl bedeutender
Männer; da war der Amerikaner Wheaton, der gelehrte Kenner des
Völkerrechts, der kluge hochgebildete Belgier Nothomb, und Lord Westmore-
land, ein glühender Bewunderer der deutschen Musik; selbst die türkische
Gesandtschaft besaß an ihrem Sekretär Davoud Oghlu einen gediegenen
Gelehrten, der es in der deutschen Rechtsgeschichte mit den Deutschen
selber aufnehmen konnte, und die Gattin des sardinischen Gesandten,
des Grafen Rossi, Henriette Sontag entzückte jetzt die Gäste ihres
Hauses wie vormals die Besucher des Königstädtischen Theaters, durch
ihren herrlichen Gesang.
Über diese reich bewegte vornehme Gesellschaft dachte Friedrich Wilhelm.
das ganze Füllhorn deutscher Kunst und Wissenschaft auszuschütten. Er
verhehlte nicht, daß er seinen bayrischen Schwager überbieten, Berlin zur
Hauptstadt der nationalen Kultur erheben wollte, und der Wittelsbacher
klagte bald bitterlich, die Berliner entführten ihm jedes große Talent.
Dem Preußen fehlten aber die zähe Ausdauer und die berechnende Umsicht,
welche den Bayern befähigten, alle seine Unternehmungen zu Ende zu
führen, und während dieser seine Künstler nur selten durch ein Macht-
wort in ihrer Arbeit störte, meinte jener selbst ein Künstler zu sein, dem
freien Schaffen meisternd die Bahnen weisen zu können. Auf allen Ge-
bieten der Kunst zugleich schienen dem Könige die edelsten Kräfte der Na-
tion zu Gebote zu stehen. Welch ein Viergespann! — schrieb Bunsen