16 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
aus selbstverschuldeten Verwicklungen herauszufinden; er rieb sich auf in
unfruchtbaren Versuchen, bis die Geschichte über ihn hinwegschritt. Weder
zum herzhaften Genusse, noch zu herzhafter Tat besaß er die Kraft, und
obwohl ihn die angeborene muntere Laune nie ganz verließ, so fühlte er
sich doch innerlich unbefriedigt. Er erkannte bald mit Schmerz, daß ihm
nichts gelinge, und die aufgeregte Zeit war nicht in der Stimmung, diesem
stillen Leiden eines hochbegabten Geistes menschliche Teilnahme zu zollen.
Der von dem Berufe des Königs von Gottes Gnaden so überschwenglich
hoch dachte, mußte noch erleben, daß sein Regiment den Glauben an das
Königtum in einem altmonarchischen Volke tief, zum Glück nicht für
immer erschütterte. Es war, als wollte die Vorsehung diesem überbildeten
und den Wert der Bildung maßlos überschätzenden Geschlechte an einem
tragischen Beispiele zeigen, wie wenig in den Machtkämpfen des Staats-
lebens Geist, Wissen, Edelsinn, Herzensgüte vermögen ohne die schlichte
Kraft eines männlichen Willens. In dem großen Zusammenhange der
deutschen Geschichte erscheint diese tief unglückliche Regierung doch als
eine notwendige, heilsame Schickung; denn unter einem stärkeren Könige
wäre der unvermeidliche Übergang der stolzen preußischen Monarchie zur
konstitutionellen Staatsform schwerlich ohne furchtbare Kämpfe erfolgt. —
Das Schicksal fügte, daß fast zu gleicher Zeit mehrere der wichtigsten
Staatsämter durch Todesfälle erledigt wurden. Wenige Wochen vor dem
alten Könige war Altenstein gestorben, schon etwas früher sein frommer
Ratgeber Nicolovius. Noch ehe das Jahr zu Ende ging, starb der treue
Stägemann, der so lange in allen vertraulichen Angelegenheiten die Feder
für den Monarchen geführt hatte. Schinkel wurde in der Kraft seiner
Jahre von einer schrecklichen Krankheit ergriffen, die seinen Geist um-
nachtete und ihn bald dahinraffen sollte. Den Tod des Grafen Lottum
und des Kriegsministers General Rauch erwartete man binnen kurzem;
beide fühlten sich altersmüde. Der ebenfalls hochbejahrte Fürst Wittgen-
stein hielt sich geflissentlich von den Geschäften zurück und äußerte bitter,
mit dieser verwandelten Welt wolle er nichts mehr gemein haben. So
war denn überall Raum für frische Kräfte, und aufjubelnd schrieb Peter
Cornelius: „es naht eine Fest= und Frühlingszeit für ganz Deutschland!“
Deutschland hatte aber in diesem Vierteljahrhundert erstaunlich rasch ge-
lebt, und durch die lange Regierungszeit des alten Königs wurde die
natürliche Folge der Generationen verschoben. Die neuen Männer, welche
jetzt in die Höhe kamen, gehörten nicht der Jugend an; sie waren zu-
meist, gleich ihrem königlichen Gönner, aufgewachsen unter den bestimmen-
den Eindrücken der Befreiungskriege, der Zeit der Restauration und der
religiösen Erweckung; manche von ihnen bewahrten auch noch die Frei-
heitsideale der ältesten Burschenschaft treu im Herzen. Das allerjüngste
radikale Geschlecht jedoch belächelte sie schon als Reaktionäre, ihre christlich-
germanischen Idcen erschienen der neuen Aufklärung der Junghegelianer