18 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
sie in unablässigem Verkehre, und wenn sie das Ansehen des Königtums
gefährdet glaubte, dann konnte die leutselige Fürstin manchem kalt und
stolz erscheinen; daher schrieb man ihr einen verderblichen politischen Ein—
fluß zu, obwohl sie während dieser ersten Jahre sich seltener als späterhin
mit Staatsgeschäften befaßte.
Etwas weiter reichte die politische Wirksamkeit des Grafen Anton
Stolberg, der anfangs neben dem Fürsten Wittgenstein, nachher als dessen
bestallter Nachfolger die Leitung des Hausministeriums übernahm. Er
hatte schon bei Jena tapfer gefochten, darauf die Verfolgungen der könig—
lich westfälischen Polizei glücklich überstanden — dank den treuen Harzern,
die den Sohn des altbeliebten Harzgrafengeschlechts immer zu verstecken
wußten — dann im Befreiungskriege mit dem älteren Prinzen Wilhelm,
mit Gneisenau und York als treuer Waffengefährte Freundschaft ge—
schlossen. Diese Kriegserinnerungen blieben ihm immer heilig; als er
nach dem Frieden heimkehrte, um seinen Vater bei der Regierung der
Grafschaft zu unterstützen, ließ er sogleich auf den Felsen des Ilsensteins
den gefallenen Freunden zu Ehren ein eisernes Kreuz aufrichten. Erst
weit später trat er in den Verwaltungsdienst und erwarb sich als Prä—
sident in Düsseldorf wie in Magdeburg allgemeines Vertrauen durch jene
vornehme und doch schlicht menschliche Liebenswürdigkeit, welche sein
edles Geschlecht von jeher ausgezeichnet hat. Lebendiger als sein po—
litischer Sinn war sein religiöses Gefühl. Er schloß sich früh den Krei—
sen der „Erweckten“ an, unterstützte in Düsseldorf die beiden Wohl—
täter des Niederrheins, den Grafen v. d. Recke und den Pastor Fliedner
bei ihren Liebeswerken und übernahm die Leitung des neuen Diakonissen—
vereins. Diese lautere, durchaus duldsame Frömmigkeit gewann ihm das
Herz Friedrich Wilhelms. Alsbald nach dem Thronwechsel mußte „Graf
Anton“ nach Charlottenhof übersiedeln, damit er dem Könige als ein
getreuer Eckart immer zur Hand sei bei jeder Gewissensfrage der Politik,
und er entsprach dem Vertrauen durch freimütige Offenheit. Aber,
selbst ein Gemütsmensch und darum trotz seiner natürlichen Milde zu—
weilen ungerecht, vermochte er den Stimmungen des Monarchen nicht
das Gegengewicht zu halten; von seiner Geschäftskenntnis und der Schärfe
seines Verstandes sprach er selber sehr bescheiden.“) Das religiöse Leben
seines Hauses bewegte sich in Formen, welche den protestantischen Ge—
wohnheiten widersprachen; wenn er allabendlich mit seinen frommen lieb—
reichen Töchtern und dem gesamten Hausgesinde auf den Knieen lag,
so waren im neuen Berlin nur wenige duldsam genug, um die ganz
ungeheuchelte Inbrunst solcher Andachtsübungen zu achten.
Diese kirchliche Strenge zeigte sich noch schärfer ausgeprägt in der
Gesinnung des Generals v. Thile, der fortan als Kabinettsminister, wie
*) Stolberg an Cuny, 12. Jan. 1841.