Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

266 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
der Verfassungssache seine strenge Rechtsansicht unerschrocken festgeharren. 
Der König wünschte ihn auf gute Art zu beseitigen, und bald fanden sich 
dienstbeflissene Leute, welche dem arglosen, leicht zu täuschenden Monarchen 
vorspiegelten: der greise noch sehr rüstige Präsident des Obertribunals 
Sack wünsche nach seinem Jubiläum, im nächsten Juli auszuscheiden. So 
erhielt denn der vornehmste Richter der Monarchie zu seinem Jubelfeste 
neben dem wohlverdienten hohen Orden zugleich die ganz unerwartete 
Mitteilung: der König würde ihm den Abschied gern erteilen, falls er 
altershalber darum bäte. Tief gekränkt trat er sofort zurück, und der 
gesamte Richterstand fühlte sich mit ihm beleidigt.) In dies erledigte 
Amt rückte Mühler ein; er behielt jedoch, wie Rochow, Sitz und Stimme 
im Staatsministerium, das also immer zahlreicher und bunter wurde. 
Das Ministerium der Justizverwaltung erhielt der Kabinettsrat Uhden; 
der König mochte wohl insgeheim hoffen, durch diesen seinen persönlichen 
Vertrauten den zaudernden, gelehrten Minister der Gesetzgebung zu ra- 
scherer Tätigkeit anzuspornen. 
Mittlerweile ward auch Graf Arnim seines Amtes müde. Hoffnungs- 
voll und fest entschlossen, seine ganze Kraft für die ständischen Pläne des 
Königs ritterlich einzusetzen, war er vor zwei Jahren in das Ministerium 
eingetreten, aber sofort in den unseligen Kampf mit der Presse verwickelt 
worden. Die ganze Gehässigkeit jener Zeitungsverbote haftete nunmehr 
an seinem Namen, obwohl er stets nur die Befehle seines königlichen 
Herrn ausgeführt hatte. Er fühlte das und fragte den Monarchen mehr- 
mals: werde ich nicht zu unbeliebt sein, um jetzt noch im Amte bleiben 
zu können, da die Zeit des Widerstandes vorüber ist und „eine Periode 
des besonnenen Fortschreitens“ beginnen soll? Noch schwerer bedrückte ihn, 
daß er sich von der Unausführbarkeit der Entwürfe des Königs sehr bald 
überzeugen mußte. Anfangs stand er der Verfassungsfrage, gleich allen 
seinen Amtsgenossen, noch ganz urteilslos gegenüber; er hatte Augen- 
blicke, da ihm die mecklenburgische Verfassung bewundernswert erschien, 
und wieder andere, da er, wie auch Radowitz?), sich der harmlosen Hoff- 
nung hingab, das regere Leben der Provinziallandtage würde den reichs- 
ständischen Gedanken bald ganz ersticken. Sobald er sich aber tiefer ein- 
arbeitete, gelangte er zu der nüchternen Erkenntnis, daß der Neubau der 
ständischen Verfassung auf einem festen unangreifbaren Rechtsboden ruhen 
müsse. Darum schlug er vor (Apr. 1844), aus den Virilstimmen des 
Herrenstandes und erwählten Abgeordneten der Provinziallandtage einen 
Reichstag von etwa 160 Köpfen zu bilden, der aller drei Jahre regel- 
mäßig zusammenträte, um über neue Steuern und Gesetze zu beraten, 
über neue Anleihen zu beschließen. So würden alle Verheißungen der 
*) So ist mir der einst vielbesprochene Vorfall von seiten der Familie des Prä- 
sidenten erläutert worden. 
**) Radowitzs Bericht, 22. Juli 1843.
	        
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