Abel und seine Anhänger. 307
Gesinnung mit dem Hirtenstabe betraut: Weis in Speier, Stahl in
Würzburg, Hoffstätter in Passau, Riedel in Regensburg. An der Spitze
dieses jungen streitbaren Episkopats stand der Eichstädter Reisach; er wurde
jetzt Koadjutor des greisen Erzbischofs von München, bald nachher dessen
Nachfolger, und wie er einst mit großem theatralischem Erfolge, zur Er—
bauung aller kindlichen Gemüter, als pilgernder Kuttenmann in seine
Wilibaldstadt eingezogen war, ebenso gewandt bewegte er sich nunmehr in
der vornehmen Gesellschaft der Hauptstadt. Auf dem Lehrstuhle des Kirchen—
rechts in München stand Phillips, der preußische überläufer, der sein
verlassenes Vaterland mit unauslöschlichem Hasse bekämpfte; er lehrte be—
reits, den Konzilien gebühre nur eine beratende Stimme, da die Kirche
nur durch Petrus Kirche sei, und näherte sich also Schritt für Schritt
dem Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit, in dem die klerikale Dia-
lektik zuletzt notwendig ausmünden mußte. Der aus Würzburg neu be-
rufene Lehrer des Staatsrechts May verkündigte in anständigerer Form
dieselbe Lehre von der Civitas Dei, welche Droste-Vischering in seiner
letzten Streitschrift verfocht; alle Befugnisse der Kirchenhoheit, alle Maje-
stätsrechte des Staates galten ihm nur für Erfindungen einer pseudo-
liberalen Theorie.
Nicht umsonst ließ der alte Görres den Schlachtruf erschallen: „Hammer
oder Amboß ist die Losung des Jahrhunderts!“ Überall in der Welt
erhoben die Klerikalen neue, bisher unerhörte Forderungen. Die Mün-
chener gelben Blätter verlangten kurzab freie Verfügung der Kirche und
ihrer Hirten über die gesamte Wissenschaft und den Unterricht; mit
einem Fußtritt sollten alle Segnungen des weltlichen deutschen Schul-
wesens, die Arbeit dreier Jahrhunderte über den Haufen geworfen werden.
Zugleich begann Graf Montalembert in der französischen Pairskammer
hochbegeistert seinen Kampf gegen die Staatsschule. Dem ritterlichen
Schwärmer stand außer Zweifel, daß die katholische Kirche nur die Königin
oder gar nichts sein könne. Da die Härte der napoleonischen Unterrichts-
ordnung, die geistlose Gleichförmigkeit der Lyceen, die Pedanterei „der Man-
darinen der Universität“ in der Tat viele Blößen darboten, so glaubte
er wirklich für die Freiheit zu kämpfen, wenn er die Schulen wieder in
das Joch des Klerus spannen wollte und die Söhne der Kreuzfahrer er-
mahnte, nicht zurückzuweichen vor den Söhnen Voltaires. Durch Geburt
und Bildung halb Engländer halb Franzose hatte sich Montalembert
kürzlich mit einer Tochter des belgischen ultramontanen Parteiführers Felix
v. Merode vermählt, und dieser eigentümliche weltbürgerliche Zug der
römischen Partei zeigte sich auch in dem Münchener Kreise. In der Hof-
gesellschaft glänzten neben den alteingebürgerten ultramontanen Geschlech-
tern Löwenstein, Arco, Cetto, Deuxponts, Rechberg, Seinsheim auch der
unglückliche Minister Karls X. Fürst Polignac, die gleichgesinnten Rohans
und das karlistische Haus Lichnowsky. Fürst Felix Lichnowsky erfreute sich
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